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10. April 2011 / 09:42 Uhr

Bangladesch – Dicht besiedeltes Armenhaus Ostasiens

Menschen in BangladeschBangladesch ist nach Malta der am dichtesten besiedelte Staat der Erde und der Staat mit der siebtgrößten Bevölkerung weltweit. Das Küstenland ist von mehreren großen Flüssen durchzogen, der Ganges hat sein weites Delta in Bangladesch. Regelmäßig werden weite Teile des Landes überflutet, bei einem Ansteigen des Meeresspiegels würden große Gebiete Bangladeschs im Meer versinken. Seit seiner Unabhängigkeit ist Bangladesch von bitterer Armut geprägt, politische Wirren und grassierende Korruption schwächen das Land zusätzlich.

Blutiger Unabhängigkeitskrieg

Menschen in Bangladesch

Menschen in Bangladesch

Bangladesch ist extrem überbevölkert. Das Land ist nicht einmal doppelt so
groß wie Österreich und hat mehr als 150 Millionen Einwohner.
Foto: Corporal Peter R. Miller, US Marine Corps / Wikimedia

Nach der Teilung Britisch Indiens 1947 wurde Ostbengalen mit seiner islamischen Bevölkerungsmehrheit als Ostpakistan Teil des neu entstandenen muslimischen Pakistan. Obwohl knapp die Hälfte der Bevölkerung in Ostpakistan lebte, waren die Bengalen im politischen Leben Pakistans kaum präsent, der Großteil ihrer Einnahmen aus dem Export von Agrargütern floss nach Westpakistan, vor allem das Militär wurde damit aufgerüstet. Außer dem gemeinsamen Glauben verband die beiden Landesteile kaum etwas, die ethnischen und kulturellen Unterschiede waren groß. Nachdem 1970/71 die säkulare, links orientierte ostpakistanische Awami Liga die pakistanischen Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung mit großem Abstand gewann, verhinderte die Militärregierung den Machtwechsel und verstärkte die Truppen in Ostpakistan.

Die Awami Liga reagierte mit einem Generalstreik und der Erklärung der Unabhängigkeit. Unterstützung fand sie dabei in Indien, das die sich formierenden Awami-Rebellen ausbildete und ausrüstete sowie der Exilregierung Unterschlupf gewährte. Das Militär antwortete mit äußerster Härte auf die Rebellion und wurde dabei von den islamistischen Aktivisten der Jamaat-e-Islami unterstützt. Besonders zu leiden hatte die Hindu-Minderheit, die bereits 1947 zum Opfer exzessiver Gewalt geworden war. Nachdem bereits etwa zehn Millionen Menschen ins Nachbarland geflohen waren, entschloss sich Indien zum direkten Eingreifen und entsandte Einheiten der paramilitärischen Border Security Force nach Ostpakistan, denen die reguläre indische Armee folgte; es kam auch an der westpakistanischen Grenze zu Kämpfen. Pakistan erlitt eine vollständige Niederlage und musste sich aus Ostpakistan zurückziehen, das noch im selben Jahr als Bangladesch (Land der Bengalen) unabhängig wurde.

Sheikh Mujibur Rahman

Sheikh Mujibur Rahman

Sheikh Mujibur Rahman führte Bangladesch
in die Unabhängigkeit.
Foto: Umran Chowdhury / Wikimedia

Der Konflikt forderte zumindest 200 000 Opfer, wobei die Zahlen sehr umstritten sind und bis zu einer Opferzahl von 3 Millionen Menschen reichen. Die pakistanische Armee und verbündete Milizen machten sich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig, das Time Magazin zählte sie zu den größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Die US-Regierung, die eine weitere Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Asien befürchtete – Indien galt als Verbündeter der UdSSR, während die USA Pakistan unterstützten – negierte entsprechende Berichte ihres Konsulates im bengalischen Dhaka. Die Verbrechen reichten von Massakern über Massenvergewaltigungen bis zu Massenvertreibungen und werden oft auch als versuchter Genozid beschrieben. Der pakistanische Militärmachthaber beschrieb das Vorgehen seiner Streitkräfte mit den Worten: „Töte drei Millionen von ihnen, dann frisst dir der Rest aus der Hand.“

Militärregierungen und schleichende Islamisierung

Der Führer der Awami Liga, Sheikh Mujibur Rahman wurde zunächst erster Präsident, danach Premierminister des neuen Staates. Die Awami Liga vertritt vier Grundsätze: Nationalismus, Säkularität, Demokratie und Sozialismus. Dementsprechend wurde Bangladesch als säkularer Staat ausgerichtet.

Überflutung

Überflutung

Überflutungen machen regelmäßig unzählige Menschen obdachlos.
Foto: U.S. Marine Corps photo by Staff Sgt. Julius Hawkins / Wikimedia

1974 wurde Bangladesch von einer Hungersnot getroffen, die Regierung sah sich nicht in der Lage, der Bevölkerung zu helfen. Gleichzeitig näherte sich Sheik Mujibur Rahman dem politischen Islam und regierte zunehmend autoritärer, Vorwürfe des massiven Nepotismus wurden laut. Im Sommer 1975 wurden er und seine gesamte Familie mit Ausnahme zweier Töchter während eines Militärputsches ermordet.

Nach mehreren Umstürzen konnte sich im November 1975 Armeechef Ziaur Rahman als neuer Herrscher durchsetzen. Unter seiner Führung wurde Bangladesch 1977 offiziell zum islamischen Staat, das Verbot religiöser Parteien wurde aufgehoben. Ziaur Rahman gründete die zweite große Partei des Landes, die Bangladesch Nationalist Party BNP. 1978 wurden wieder freie Wahlen organisiert, aus denen die BNP als Sieger hervorging; die Awami Liga war zu diesem Zeitpunkt auf Grund verschiedener Spaltungen de facto handlungsunfähig. Ziaur Rahman wurde 1981 wie sein Vorgänger ermordet.

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1983 ergriff General Hossain Mohammad Ershad das Land, der 1988 den Islam zu Staatsreligion erklärte. 1990 musste er nach heftigen Demonstrationen zurücktreten, Bangladesch ist seitdem wieder ein demokratischer Staat.

Zwei Frauen kämpfen um die Macht

Hasine Wajed

Hasine Wajed

Hasina Wajed, die Tochter des ersten Präsidenten, führt
derzeit die Regierung in Bangladesch.
Foto: Lawrence Jackson / Wikimedia

Die einflussreichsten Politiker im demokratischen Bangladesch sind zwei Frauen mit großen Namen in ihrem Land. Die Bangladesh National Party wird von Khaleda Zia geführt, der Witwe des ermordeten Ziaur Rahman. Die BNP steht für eine konservative, islamisch orientierte Politik, obwohl sie nicht als islamistisch bezeichnet werden kann und auch religiöse Minderheiten in ihrer Führungsriege vertreten sind. Von 1991 bis 1996 und von 2006 bis 2006 war Khaleda Zia Ministerpräsidentin Bangladeschs. Sie ging dabei jeweils ein Bündnis mit der Jamaat-e-Islami ein, die von 1972 bis 1978 wegen ihrer Beteiligung an den Verbrechen während des Unabhängigkeitskrieges verboten war.

Ihre Gegenspielerin ist die amtierende Ministerpräsidentin Hasina Wajed, Tochter des ersten Präsidenten Sheikh Mujibur Rahman, die sich während der Ermordung ihrer Familie in Großbritannien aufhielt. Nachdem sie bereits von 1996 bis 2001 Ministerpräsidentin gewesen war, errang sie bei den letzten Wahlen 2008 mit der Awami Liga, die sie in den 1980er Jahren wieder einte, drei Viertel der Parlamentssitze.

Ist Bangladesch ein islamischer Staat?

Schulkinder

Schulkinder

Nur wenige Kinder haben das Glück, eine Schule zu besuchen. Die
Analphabetenrate ist hoch und Kinderarbeit weit verbreitet.
Foto: Mark Knobil / flickr

Der sunnitische Islam in Bangladesch, dem etwa 90 Prozent der Bevölkerung anhängen, sticht durch seine spezifischen Ausformungen hervor, die von strengen Muslimen teilweise als Häresie angesehen werden. Viele vorislamische Bräuche haben sich erhalten und Eingang in das islamisch-religiöse Leben des Landes gefunden. Der Islam ist stark von mystischen Einflüssen geprägt; Sufis, islamische Mystiker, die oft in Orden organisiert sind, haben großen Einfluss.

Seit Anfang der 1990er Jahre versuchen puritanische Strömungen des Islam, die den Wahabiten und den Salafisten nahestehen, Einfluss zu gewinnen. Zwei islamistische Parteien wurden Anfang des Jahrtausends verboten, inzwischen agieren islamistische Terrororganisationen wie die Jamaat ul-Mujahideen (JUM) und die Harkat-ul-Jihad-al-Islami (HUJI) in Bangladesch. Besondere Erfolge konnten diese Gruppen aber bisher nicht erzielen.

Während der Regierungszeit der BNP waren auch die islamischen Parteien Jamaat e-Islami und Islami Oikya Jote an der Regierung beteiligt und konnten so teilweise ihre Ideologie umsetzen. Ihrer Forderung nach Einführung der Scharia entsprach die BNP aber nicht. Dennoch konnten sich auf dem Land teilweise Schariagerichte neben den ordentlichen staatlichen Gerichten etablieren.

Die Wahlen von 2008 brachten einen herben Rückschlag für den politischen Islam, als die betont säkular ausgerichtete Awami Liga einen Erdrutschsieg feiern konnte. Die Führer der Jamaat e-Islami müssen sich jetzt für ihre Verbrechen während des Krieges von 1972 verantworten, radikale Gruppen werden von der Polizei stark bedrängt, wobei gerade in letzter Zeit große Erfolge erzielt wurden. Als schwieriger erweist sich der Kampf gegen die Schariagerichte, da diese immer wieder von lokalen Behörden gedeckt werden. Inzwischen wurden Gesetze erlassen, die nicht nur die Vollziehung der Urteile informeller Schariagerichte, sondern auch unterlassene Hilfeleistungen für Opfer unter Strafe stellt. Überregionale Gerichtshöfe haben erweiterte Befugnisse bekommen, lokale Verfahren an sich zu ziehen, spezielle Polizeieinheiten werden zu Aufklärung dieser Verbrechen eingesetzt. Auch wenn die Regierung sich stark in diesem Bereich engagiert, bleibt noch viel zu tun.

Hindu-Tempel

Hindu-Tempel

Die hinduistische Minderheit – hier ein Tempel in der Hauptstadt Dhaka –
genießt Rechte, doch Islamisten versuchen Fuß zu fassen.
Foto: Michael Stout / flickr

Übergriffe auf religiöse Minderheiten, vor allem Hindus, auf lokaler Ebene haben seit 2008 stark abgenommen und werden streng geahndet. Gestärkt durch das Wählervotum von 2008 sind die Bemühungen der Awami-Regierung gegen religiöse Gewalt durchaus ernst zu nehmen, die Situation hat sich deutlich verbessert.

Trotz der einigermaßen stabilen politischen Verhältnisse liegt Bangladesch im Index der gescheiterten Staaten auf Platz 24. Grund dafür sind die enormen sozialen Probleme wie Kinderarbeit und Analphabetismus, die durch die regelmäßigen Naturkatastrophen, insbesondere Überflutungen, noch verstärkt werden.

Unzensuriert-Serie über "Failed States"

Unzensuriert.at stellt wöchentlich einen gescheiterten Staat vor. Bisher veröffentlicht:

Somalia – Nummer eins unter den gescheiterten Staaten
Guinea – Mit dem Sozialismus in die Armut
Sudan – Abspaltung vom islamistischen Araber-Regime
Liberia und Sierra Leone – Heimat der Blutdiamanten
Kongo Das Herz der Finsternis
Simbabwe Staatsbankrott droht binnen Jahresfrist
Pakistan Atommacht vor dem Kollaps
Afhganistan Das gescheiterte Protektorat
Der Irak Zweistromland in Flammen
Myanmar Aufruhr im Dschungel Hinterindiens
Osttimor  Der jüngste Staat der Erde

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