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10. Mai 2011 / 10:12 Uhr

Ruandische Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht

Massaker2002 wurde in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch beschlossen, nach dem Täter gewisser besonders schwerer Straftaten in Deutschland vor Gericht gestellt werden können, egal wo diese Taten begangen wurden. In Stuttgart stehen jetzt zwei mutmaßliche Täter, der ehemalige Chef einer Hutumiliz im Kongo und sein Stellvertreter vor Gericht; sie sind die ersten, gegen die nach den neuen Regeln verhandelt wird.

17 Jahre Mord im Urwald

Am 6. April 1994 begann in Ruanda der Völkermord der Hutumehrheit an der Minderheit der Tutsi, knapp eine Million Tutsi und moderate Hutu wurden bis zum vollständigen Sieg der Tutsirebellen des derzeitigen Präsidenten Paul Kagame Ende Juli ermordet.

Massaker

In dieser Kirchen wurden bis zu 5000 Menchen ermordet.
Foto: Scott Chacon / Wikimedia

Nach dem Sieg von Kagames Ruandischer Patriotischer Front wichen unzählige Angehörige der ruandischen Armee und der Hutumilizen, die für den Völkermord verantwortlich waren, in den benachbarten Kongo aus. Die offizielle Regierung des Kongo war weder willens noch in der Lage, diese Eindringlinge aus dem unwegsamen Dschungel ihrer Ostprovinzen zu vertreiben. Bis heute setzen Teile dieser bewaffneten Banden ihr Treiben fort und drangsalieren die Bevölkerung. Aus ehemaligen Angehörigen der ruandischen Armee und von Hutumilizen ging 2000 die Gruppe „Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda FDLR) hervor, die für Massaker, Massenvergewaltigungen und andere schwere Verbrechen verantwortlich zeichnet.

Vom „Asylanten“ zum Drahtzieher der Dschungelkrieger

Der 1963 in Ruanda geborene Ignace Murwanashyaka kommt 1989 als Stipendiat zum Studium nach Bonn, wo er eine Deutsche heiratet und 2001 promoviert; während des Völkermordes hält er sich in Deutschland auf. Im Jahr 2000 sucht der Ruander als politischer Flüchtling um Asyl in der BRD an, welches ihm auch binnen sechs Wochen gewährt wird. Warum Murwanashyaka 2001 zum Präsidenten der FDLR aufsteigt, ist nicht restlos geklärt.

Murwanashyaka

Murwanashyaka

Ignace Murwanashyaka wurde 2001 Chef der FDLR
Foto: Interpol

Möglicherweise soll seine weiße Weste helfen, die Organisation als ruandische Oppositionsgruppe zu etablieren und Gelder im Ausland zu lukrieren. In den nachfolgenden Jahren reist der „politische Flüchtling“ mehrmals zu seinen Spießgesellen in den Kongo, vertritt diese aber auch im Ausland, so 2005 bei Verhandlungen in Rom.

Unbehelligtes Leben in Deutschland

Während im Osten des Kongo unzählige Verbrechen von der FDLR begangen werden, lebt deren Präsident Murwanashyaka unbehelligt in Deutschland und bezieht monatlich 432 Euro Unterstützung vom Staat. Er ist aber nicht der einzige hochrangige Angehörige  der FDLR in Deutschland, auch sein Stellvertreter Straton Musoni führt hier ein beschauliches Leben. Musoni ist auch in Kontakt mit der Justiz – er arbeitet für einen EDV-Servicedienstleister im baden-würtembergischen Justizministerium, in polizeilichen Sicherheitsüberprüfungen wird nichts beanstandet. Erst 2008, als der Druck von außen immer mehr zunimmt, ersucht das Ministerium das EDV Unternehmen den Mitarbeiter abzuziehen.

Spätestens 2005 sollte den deutschen Behörden aber klar sein, um wen es sich bei den beiden Ruandern handelt, sie werden vom UN-Sicherheitsrat und dann auch von der EU mit Reise- und Finanzsanktionen belegt, die FDLR steht auf der Terrorliste des US Außenministeriums.

FDLR Fahne

FDLR Fahne

Fahne der FDLR, die ab 2005 als Terrororganisation geführt wurde
Foto: MS05L, Wikimedia

Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beim Auswärtigen Amt 2006 Erkundigungen über die FDLR eingeholt hat, widerruft es Murwanashyakas Asylantenstatus und nimmt ihn in Abschiebehaft. Murwanashyakas Berufung hat allerdings zunächst Erfolg, da die zuständige Richterin keine eindeutigen Beweise über die Verbrechen der FDLR erkennen kann und diese außerdem zu lose organisiert sei, um Murwanashyaka für ihr Treiben verantwortlich machen zu können. Im Mai 2006 wird in Deutschland gegen den Rebellenführer ein Verfahren wegen des Verdachtes der Beteiligungen an Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet, nach einem Jahr aber wieder eingestellt. Ein weiteres Jahr vergeht, in dem der FDLR Präsident in Ruhe seinen Tätigkeiten nachgehen kann.

„Eine Kooperation mit der FDLR – Führung ist unbedingt notwendig“

Im April 2008 besucht Paul Kagame die Bundesrepublik Deutschland, im Namen der FDLR gibt Murwanashyaka eine Erklärung ab, in der er Kagame als „Faschisten“ bezeichnet, der das ruandische Volk ausgerottet habe.

Paul Kagame

Paul Kagame

Paul Kagame, der das Morden in Ruanda stoppte, wurde
von Murwanashyaka als "Faschist" bezeichnet
Foto: Official White House Photo by Lawrence Jackson

Im Mai 2008 kommt es schließlich auch im deutschen Bundestag zur Diskussion über die FDLR und deren Führer. Der Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Gernot Erler (SPD), gibt auf Nachfragen mehrerer Abgeordneter einige durchaus überraschende Erklärungen ab. Obwohl gegen Murwanashyaka massive Vorwürfe bekannt sind, sei gegen ihn nur ein Verbot der politischen Betätigung ausgesprochen worden – an das sich Murwanashyaka genauso wenig hält wie an die Reise- und Finanzsanktionen. Außerdem verweist Erler darauf, dass die Demobilisierung der FDLR „vorwiegend mit nicht militärischen Mitteln angegangen werden“ soll und „eine Kooperation zwischen den Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas sowie mit der FDLR-Führung unbedingt notwendig“ sei; die Bundesregierung hätte Kagame bei seinem Besuch hierzu gedrängt. Das Morden im Kongo geht inzwischen weiter.

Die deutsche Justiz rafft sich doch noch auf

Im Juli 2008 erlässt Ruanda Haftbefehl gegen Murwanashyaka und fordert von Deutschland seine Auslieferung. Da er in Ruanda keinen fairen Prozess bekäme, wird das Ansinnen abgewiesen. Murwanashyaka fühlt sich in Deutschland inzwichen anscheindend sicher und erklärt in einem Fernsehinterview, als Präsident der FDLR, die straff organisiert sei, genau über deren Aktionen Bescheid zu wissen. Im März 2009 wird er wegen Verstoßes gegen seine Aufenthaltsbedingen – Murwanashyaka hatte sich trotz Verbotes politisch betätigt – zu vier Monaten auf Bewährung und 160 Stunden sozialer Arbeit verurteilt, im Berufungsverfahren wird die Strafe für den mutmaßlichen Drahtzieher unzähliger Gräuel auf sechs Monate auf Bewährung erhöht. Inzwischen regt sich aber mehr und mehr Unmut, die deutsche Justiz gerät zusehends unter Druck, endlich ernsthaft tätig zu werden. Ab Jahresbeginn 2009 intensiviert die FDLR ihre Aktionen im Kongo, es kommt wieder zu massiven Übergriffen auf Zivilisten. Hintergrund dafür ist ein Abkommen zwischen dem Kongo und Ruanda, auf Grund dessen ruandische Truppen in den Osten des Landes einmarschieren. Ihr Ziel ist es, der FDLR den Garaus zu machen und flüchtige Verantwortliche für den Genozid von 1994 zu fangen. Nachdem die FDLR gegen die disziplinierten Tutsi aus Ruanda chancenlos ist, überzieht sie das Land mit einer Terrorkampagne gegen die Zivilbevölkerung. Die deutschen Justizbehörden nehmen ihre Erhebungen wieder auf, diesmal wird offensichtlich erstmals ernsthaft ermittelt. Am 17. November 2009 werden Murwanashyaka und Musoni verhaftet, erst jetzt wird Murwanashyaka der Asylantenstatus entzogen. Am 4. Mai 2011 wird schließlich Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Die Bundesstaatsanwaltschaft will vor allem die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit nachweisen, wonach die beiden als Drahtzieher für die unzähligen Verbrechen der FDLR verantwortlich seien. Die Verteidigung spricht von einem politischen Prozess, in dem die deutsche Justiz nur der verlängerte Arm des ruandischen Unrechtsregimes sei.

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Der Weltrechtsgrundsatz – keine Sicherheit für Kriegsverbrecher?

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist ein Ausfluss des „Weltrechtsgrundsatzes“, der besagt, das gewisse Straftaten überall auf der Welt, egal von wem sie wann und wo begangen wurden bestraft werden können. Sowohl im deutschen als auch im österreichischen Strafrecht sind derartige Regelungen zu finden, wobei vor allem zwei Deliktgruppen abgedeckt werden. Die erste Gruppe sind Verbrechen, die üblicherweise grenzüberschreitend begangen werden und vor allem in den Bereich der organisierten Kriminalität oder des internationalen Terrorismus fallen; Beispiele dafür sind Drogen- und Menschenhandel sowie Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die zweite Gruppe wird als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bezeichnet. 1998 wurden diese Deliktsgruppen im Rom-Statut festgeschrieben, das die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof IStGH in Den Haag bildet. Österreich und Deutschland haben das Rom-Statut ratifiziert, eine Reihe von Staaten wie die USA, Russland, China, die Türkei oder Israel lehnen das Statut bisher aber ab. Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass auch Staatsbürger des jeweiligen Unterzeichnerstaates ausgeliefert werden müssen. Der IStGH ist aber nur zuständig, wenn der Staat, in dem die Verbrechen begangen wurden, diese nicht verfolgen kann oder will. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch sieht zudem die Möglichkeit vor, die Täter direkt in Deutschland vor Gericht zu stellen, in Großbritannien sind die Regelungen des Statutes auch von dortigen Gerichten anwendbar – ein Verfahren gegen ein ehemaliges Mitglied der linksextremen peruanischen Organisation „Leuchtender Pfad“ ist im Laufen. In Österreich sind strafbare Handlungen im Ausland, die ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts bestraft werden, im § 64 des Strafgesetzbuches geregelt. Eigene Normen wie das deutsche Völkerstrafgesetzbuch existieren nicht, sind aber laut Auskunft des Außenministeriums in Vorbereitung.

 
 

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