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15. Mai 2011 / 00:32 Uhr

Kolumbien – Zwischen Wirtschaftswachstum und Gewalt

US SoldatKolumbien ist ein Paradoxon mit vielen Facetten. Einerseits wächst die Wirtschaft im zweit-bevölkerungsreichsten Staat Südamerikas stetig, demokratische Strukturen sind weiterhin existent und von einem Zusammenbruch des Staates kann nicht die Rede sein. Andererseits grassiert seit Jahrzehnten die Gewalt im Land, bis in unser Jahrtausend herrschten Guerillas über knapp die Hälfte des Staatsgebietes. Mit Kolumbien setzen wir daher die Unzensuriert-Serie über die gescheiterten Staaten dieser Erde fort.

La Violencia – Ausgangspunkt der Gewalt

Das Land, das den Namen des Entdeckers Amerikas trägt, wurde 1819 im Verband mit Ecuador, Venezuela und Panama als Großkolumbien von Spanien unabhängig, der legendäre Freiheitskämpfer Simon Bolivar sein erster Präsident. Während Venezuela und Ecuador bereits früh eigene Wege gingen, wurde Panama erst 1903 nach einer Intervention der USA von Kolumbien unabhängig – de facto aber wegen des Panamakanales zur Kolonie der Vereinigten Staaten.

Seit dem 19.Jahrhundert standen einander die Konservative als Vertretung der ländlichen Großgrundbesitzer und die Liberale Partei als Gruppe der städtischen Eliten und später auch der kleineren Bauern in Feindschaft gegenüber. 1948 eskalierte der Konflikt nach der Ermordung des charismatischen liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Elicier Gaitan durch unbekannte Täter.

Gaitan

Gaitan

Nach der Ermordung von Jorge Elicier Gaitan brach in
Kolumbien ein Bürgerkrieg aus
Bild: Feloarias / Wikimedia (CC BY 3.0)

Der folgende Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen, genannt La Violencia, forderte zwischen 200 000 und 300 000 Todesopfer. Liberale Guerillas operierten gegen die konservativen Regierungstruppen vor allem von unwegsamem Gelände aus und bildeten dort sogenannte „Unabhängige Republiken“ zum Schutz ihnen nahestehender Bauern. Die erste Phase der Gewalt wurde 1953 durch einen Militärputsch und eine großzügige Amnestieregelung beendet. Teile der liberalen Kampftruppen hatten sich während des Konfliktes jedoch radikalisiert und von der als sozialdemokratisch bis sozialliberal zu bezeichnenden Liberalen Partei abgewandt. In diesem Umfeld entstanden 1964 die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens / Volksarmee (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo – FARC), die inzwischen älteste aktive Guerillabewegung Südamerikas.

1957 wurde der linkspopulistische Militärdiktator Gustavo Rojas Pinilla gestürzt. Liberale und Konservative einigten sich auf eine Teilung der Macht. Die sogenannte „Frente Nacional“ (Nationale Front) hielt offiziell bis 1974, in dieser Zeit wechselten sich konservative und liberale Präsidenten bei jeder Wahl ab.

Linke Guerillas und rechte Paramilitärs

Auch wenn die Wurzeln der FARC in den Konflikten der 1950er und 60er Jahre liegen, hat sie sich von ihrer ursprünglichen, marxistisch-leninistischen Ausrichtung inzwischen entfernt, ihr Kampf ist zum reinen Selbstzweck geworden. Unterstützt von der Sowjetunion und Kuba könnte die FARC in den 1980er Jahren ihre Macht immer weiter ausbauen und kontrollierte mit etwa 20 000 Kämpfern Anfang der 1990er Jahre fast ein Drittel des Staatsgebietes.

Lascarro

Lascarro

Felix Lascarro alias "Pastor Alape" ist einer der
führenden Drogenhändler der FARC
Foto: US Department of State

Während der Friedensverhandlungen unter Präsident Andres Pastrana wurde ihnen 1999 eine eigene, offiziell neutrale Zone zugebilligt. Dies stellte den Höhepunkt der Macht der FARC dar. Da sie ihre militärischen Aktivitäten während der Friedensverhandlungen allerdings weiter intensivierte, wurde der Prozess 2002 abgebrochen und das Militär rückte wieder in das FARC-Gebiet ein. Durch die andauernden Offensiven unter Pastranas Nachfolger Alvaro Uribe Velez ist FARC inzwischen stark in die Defensive geraten und muss immer wieder in benachbarte Staaten ausweichen. Die Truppenstärke dürfte auf 6000 gesunken sein, wobei der FARC vorgeworfen wird, Zwangsrekrutierungen auch unter Minderjährigen durchzuführen.

Die zweite nennenswerte linke Guerillagruppen ist die Ejército de Liberación Nacional (Nationale Befreiungsarmee ELN), die ebenfalls in den 1960er Jahren entstand. Sie hatte ihren Ursprung in besonders radikalen Kreisen, die der Befreiungstheologie nahestanden; bis 1998 war ihr Kommandant ein ehemaliger Priester. Auch die ELN hatte ihren Höhepunkt mit ungefähr 5000 Kämpfern in den 1990er Jahren, inzwischen wird ihre Zahl auf die Hälfte geschätzt. Nachdem sich FARC und ELN zwischenzeitlich energisch bekriegten, haben sie sich 2010 zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Nach den massiven Rückschlägen in den letzten Jahren haben die linken Guerillas stark an Macht eingebüßt, ihre Schlagkraft ist gesunken. Berichte, wonach sie teilweise Unterstützung, jedoch zumindest Rückzugsräume in den Nachbarstaaten Venezuela, Ecuador und Brasilien haben, werden von Überläufern bestätigt. Angriffe der kolumbianischen Armee auf diese Lager haben zu groben Konflikten vor allem mit Venezuela und Ecuador geführt.

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Am anderen Ende des politischen Spektrums, wenn man überhaupt von ideologischen Zielsetzungen sprechen kann, stehen rechte Paramilitärs. Diese sind in den Autodefensas Unidas de Colombia (Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens, AUC) organisiert und hatten 2004 ungefähr 17000 Mann unter Waffen.

AUC

AUC

Werbeplakat der AUC, die inzwischen offiziell aufgelöst ist
Foto: Wikimedia

Wie ihre linken Gegner gehen die AUC auf bewaffnete Gruppen zurück, die sich bereits in den 1960er Jahren als Kämpfer gegen die linken Guerillas formierten. Gemäß einem Amnestiegesetz sollten sie bis 2005 gänzlich demobilisiert werden, dies ist wahrscheinlich gescheitert. Politikern der Konservativen Partei, Großgrundbesitzern und ausländischen Unternehmen – hier vor allem Chiquita – wird vorgeworfen, teilweise enge Nahebeziehungen zu den AUC unterhalten zu haben. Auch innerhalb des kolumbianischen Sicherheitsapparates wurden die AUC teilweise geduldet oder als Männer fürs Grobe gegen die Guerillas eingesetzt.

Vor Erpressung und Entführung ist Kokain die wichtigste Einkommensquelle für linke Guerilleros, rechte Milizionäre und die Organisierte Kriminalität Kolumbiens. Ungefähr drei Viertel der weltweiten Kokaproduktion entfallen auf Kolumbien, aber auch Opium wird gewonnen. In den 1980er und 1990er Jahren waren große Kokainkartelle für Herstellung und Vertrieb der Droge verantwortlich und verdienten dabei astronomische Summen. Der bekannteste Boss des Medellin-Kartells, Pablo Escobar, der auch Kongressabgeordneter der Liberalen Partei war, wurde von Forbes mit einem Vermögen von fast drei Milliarden US-Dollar zu den reichsten Männern der Welt gezählt. Ein Kilo reines Kokain hatte zu diesem Zeitpunkt einen geschätzten Wert von 100 000 Dollar. Das Medellin-Kartell wurde ebenso wie das Cali-Kartell in den 1990er Jahren zerschlagen, Escobar auf der Flucht erschossen. In Kolumbien traten FARC, ELN und AUC in die Fußstapfen Escobars, sodass zwischen Guerillakämpfern oder Paramilitärs und Drogenhändlern kaum unterschieden werden kann. Außerdem machte der Untergang der Kolumbianer den Weg frei für mexikanische Drogenkartelle, die inzwischen den Schmuggel in die USA kontrollieren.
Allen Beteiligten am Konflikt in Kolumbien inklusive Militär und Polizei werden schwerste Verbrechen wie Folterungen, gezielte Tötungen, Massaker an Zivilisten, Entführung, Erpressung und Verstrickungen in die Organisierte Kriminalität vorgeworfen.

Wirtschaftswunderland Kolumbien?

Dennoch boomt die kolumbianische Wirtschaft und steht mit ihrem Wirtschaftswachstum an zweiter Stelle nach Chile in Südamerika. Die Grundlagen sind vielfältig. Kolumbien exportiert landwirtschaftliche Produkte wie Kaffee, Bananen, Hölzer, Kartoffeln ebenso wie Bodenschätze wie Erdgas und Erdöl, Gold, Kohle und Nickel. Beim Export von Smaragden und Blumen steht Kolumbien weltweit an erster Stelle. Die besonders unternehmerfreundliche Gesetzeslage lockt trotz grassierender Gewalt zunehmend internationale Unternehmen ins Land. Kolumbien ist auch eines der am weitesten industrialisierten Länder Lateinamerikas. Nicht mit einbezogen sind dabei die große Schattenwirtschaft, vor allem in den Bereichen des Schmuggels mit Drogen, Waffen, Edelsteinen und Hölzern. Trotz der hohen Staatsausgaben für Militär und Polizei liegen die Staatsschulden bei unter 50 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt und damit weit niedriger als beispielsweise in Österreich. Allgemein sind die Einschätzungen für Kolumbiens wirtschaftliche Zukunft durchwegs positiv.

Plan Columbia und das Verhältnis zu den USA

Der 1999 beschlossene „Plan Columbia“ sollte sowohl die Gewalt im Land als auch den Drogenanbau beenden. Der Staat gewährte dabei Militär und Polizei große
Sonderrechte und setzte teilweise Grundrechte außer Kraft. Zur Umsetzung seiner Ziele erhielt Kolumbien großzügige Unterstützung der USA in Form von günstigen Krediten und Direkthilfen, die die Vereinigten Staaten als Krieg gegen die Drogen bezeichneten. Daneben sind auch reguläre US Truppen und vor allem private Militärdienstleister im Auftrag Washingtons in Kolumbien aktiv.

US Soldat

US Soldat

US Streitkräfte arbeiten eng mit dem kolumbianischen Militär zusammen
Foto: US Navy

Die von Bill Clinton beschlossenen Hilfen wurden unter George W. Bush weiter erhöht und auch unter Barack Obama weitergeführt. Kolumbien gilt als sicherster Verbündeter der USA in Südamerika, immer wieder kommt es zu Konfrontationen mit US-feindlichen Regimes in der Region wie Venezuela; zeitweise konnten kriegerische Auseinandersetzungen nur knapp vermieden werden. Während die kolumbianische Regierung ebenso wie die US-Administration von großen Erfolgen des gemeinsamen Engagements spricht, sehen Kritiker im Plan Columbia das Vorbild für den Versuch der USA, Macht und Einfluss in ihrem einstigen Hinterhof Lateinamerika zurückzugewinnen.

Kolumbiens Zukunft

Die intensiven Bemühungen kolumbianischer Gerichte, die Verstrickungen von Organisierter Kriminalität, Paramilitärs und Guerillas mit Teilen der politischen Elite aufzudecken und abzustellen, werden von allen Seiten gelobt und sind sicherlich der Versuch eines positiven Neuanfangs. Trotz dieser Bemühungen und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wird der Schlüssel zu Kolumbiens Zukunft in der Beendigung des latenten Bürgerkrieges und der Gewalt liegen. Ob die tief mit der Organisierten Kriminalität verstrickten bewaffneten Gruppen mit friedlichen Mitteln zum Gewaltverzicht zu bewegen sind, scheint auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit äußerst fraglich. Dennoch hat sich Kolumbien im Vergleich mit dem letzten Jahrzehnt positiv entwickelt, was Hoffnung für die Zukunft gibt.

Unzensuriert-Serie über "Failed States"

Unzensuriert.at stellt die gescheiterten Staaten dieser Welt vor. Bisher veröffentlicht:

Somalia – Nummer eins unter den gescheiterten Staaten
Guinea – Mit dem Sozialismus in die Armut
Sudan – Abspaltung vom islamistischen Araber-Regime
Liberia und Sierra Leone – Heimat der Blutdiamanten
Kongo Das Herz der Finsternis
Simbabwe Staatsbankrott droht binnen Jahresfrist
Pakistan Atommacht vor dem Kollaps
Afhganistan Das gescheiterte Protektorat
Der Irak Zweistromland in Flammen
Myanmar Aufruhr im Dschungel Hinterindiens
Osttimor  Der jüngste Staat der Erde
Bangladesch – Dicht besiedeltes Armenhaus Ostasiens

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