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15. Juli 2011 / 08:51 Uhr

Ungarn: Arbeitspflicht für Sozialhilfeempfänger

Viktor OrbanKaum ist die Diskussion um das neue Mediengesetz verhallt, muss sich der ungarische Premierminister Viktor Orbán schon wieder gegen linke Meinungsmacher in Europa wehren. Diesmal geht es um das „Gemeinnützige Beschäftigungsprogramm“, das am 11. Juli im Parlament beschlossen wurde. Kritiker aus dem linken Spektrum sehen darin ein Gesetz, das auf Zwangsarbeit für Roma abzielt, die ungarische Regierung sagt, dass sie mit diesem Programm bis zu 300.000 Menschen in die Arbeitswelt zurückführen will.

Viktor Orban

Viktor Orban

Insgeheim wünschen sich EU-Politiker Sanktionen gegen Viktor Orbans Ungarn.
Foto: OECD / flickr

Die deutsche taz schreibt über „Zwangsarbeit in Ungarn“, in anderen Zeitungen und Online-Medien ist von „Arbeitslagern in einer Containerstadt“ oder von einem „faschistoiden Politikvorhaben nach deutschem Vorbild“ (gleich dem Konzept der so genannten Ein-Euro-Jobs innerhalb der Hartz-IV-Arbeitsgesetze) zu lesen. Zur Erinnerung: Hartz-IV wurde von der rot-grünen Regierungskoalition im Jahr 2005 durchgesetzt. Auch in Ungarn hatten die Sozialisten das System der öffentlichen Beschäftigung eingeführt. Damals, und das ist interessant, ohne Aufschrei jener Medien, die jetzt den Chef der rechtskonservativen FIDESZ-Partei, Orbán, wegen dessen ähnlichem Vorgehen verurteilen.

Wer nicht arbeitet, bekommt keine Unterstützung

Das Gesetz über die öffentliche Beschäftigung von Arbeitslosen in Ungarn diene dem Zweck, so der Botschafter der Republik Ungarn in Österreich, Vince Szalay-Bobrovniczky, dass alle, die arbeiten könnten, ihr Glück nicht in diversen Unterstützungen suchen, sondern zurück in die Welt der Arbeit finden sollen. Bobrovniczky rechnet damit, dass so bis zu 300.000 Menschen wieder beschäftigt werden können. Laut dem Gesetz müssen alle, die eine öffentliche Arbeitsstelle angeboten bekommen – auch wenn diese in einer anderen Gemeinde liegt – diese akzeptieren. Andernfalls wird ihnen die staatliche Unterstützung entzogen. Mütter mit kleinen Kindern oder Leute, die für kranke Verwandte sorgen, sind von der Regelung ausgenommen.

Neu gegenüber dem früheren sozialistischen System ist, dass nicht nur die Staats- und Gemeindebehörden die Arbeitslosen einsetzen dürfen, sondern auch Kirchen, Stiftungen, zivile Organisationen und gemeinnützige Gesellschaften. Sie müssen den Angestellten jedoch Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Eine Beschäftigung könnten Arbeitslose aber auch im Katastrophenschutz oder bei großen Bauprojekten finden. Wenn die Arbeitsstelle mehr als zwei Stunden vom Wohnort entfernt ist, muss der Arbeitgeber eine Unterkunft stellen.

Legitimierung durch das Volk

In der so genannten „sozialen Konsulation“, einem Fragebogen, der mit einem Schreiben von Viktor Orbán an alle ungarischen Bürger über 16 verschickt wurde, heißt es bei Frage 3, ob das Land den Arbeitslosen mit Arbeitsmöglichkeiten statt Sozialhilfe helfen solle oder ob die Lösung für die Arbeitslosigkeit die Sozialhilfe sei. Nachdem die Mehrheit Ersteres angekreuzt hat, stützt sich die Orbán-Regierung für die Einführung des Beschäftigungsprogramms auf die Legitimation durch das ungarischen Volk.

Roma in Ungarn

Roma in Ungarn

Die Arbeitspflicht in Ungarn würde viele Roma treffen. Linke Medien
argwöhnen daher, das Gesetz richte sich gezielt gegen sie.
Foto: habeebee / flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Arbeitspflicht haben künftig all jene, die sechs Monate ohne Job sind. Davor wird Arbeitslosenunterstützung ausbezahlt. Wer nach 180 Tagen keine Beschäftigung findet, wird – ungeachtet seiner Qualifikation – in den ungarischen Arbeitsplan integriert. Zur Umsetzung dieser Maßnahme soll es ab Herbst kommen. Von der Arbeitspflicht betroffen sind vor allem die Roma. Schätzungen zufolge sollen 100.000 davon Sozialhilfeempfänger sein. Diese Tatsache liefert einschlägigen Medien Gelegenheit, um mit „Zwangsarbeit für Roma“ zu titeln. So schreibt die taz: „Es braucht nicht viel Fanstasie, um zu erkennen, dass diese Politik vor allem auf die Roma abzielt. Während die Arbeitslosigkeit mit rund acht Prozent im europäischen Durchschnitt liegt, ist Beschäftigungslosigkeit bei der größten ethnischen Minderheit endemisch.“

Dass die Wiedereinführung der Arbeitspflicht im Wahlkampf 2010 ausgerechnet von der rechtsnationalen Jobbik-Partei propagiert wurde, lässt Journalisten zudem vermuten, dass Viktor Orbán mit der Umsetzung die Jobbik-Wähler ködern möchte. Eines soll das Gesetz aber mit Sicherheit bringen: Jährliche Einsparungen von umgerechnet rund 225 Millionen Euro. Ein „Leistungsstaat“ soll den „Wohlfahrtsstaat“ ersetzen. Sozialhilfe, so Orbán, sei für alle Beteiligten erniedrigend.. 

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