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29. Oktober 2011 / 18:46 Uhr

Van: Leidgeprüfte Erdbeben-Stadt in Kurdistan

VanAm Sonntag, den 23. Oktober 2011, um 12.41 Uhr MESZ erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,2 Ostanatolien. Unweit des Epizentrums liegt die Stadt Van, die schon 1950 durch solch eine Naturkatastrophe in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Türkei-Korrespondent des ORF Christian Schüller führte die rund 600 Toten auf die Armut der Region und die daraus resultierende sparsame Bauweise der Häuser zurück. Dieser Befund stimmt, ist aber trotzdem viel zu oberflächlich. Denn die geschichtsträchtige Stadt wird seit hundert Jahren nicht nur von Naturkatastrophen heimgesucht.

Van

Van

Die elfjährige Sibel auf der Burgruine von Van
mit ihrer Heimatstadt im Hintergrund.
Foto: privat

In Anatolien erlebten bereits Hochkulturen ihre Blüte als Athen und Rom noch  vergleichsweise unbedeutend waren. Zu diesen zählten auch die Urartäer, für die Van im 9. Jahrhundert v. Chr. ihre Hauptstadt namens Tuschpa war. Über die Urartäer ist heute wenig bekannt, sie dürften Teil der armenischen Ethnogenese geworden sein. Die Region Van war dann später auch fester Bestandteil des armenischen Siedlungsgebietes, freilich unter osmanischer Herrschaft. Im Ersten Weltkrieg konnte die heftig umkämpfte Stadt mithilfe der armenischen Bevölkerungsmehrheit durch die russischen Truppen zweimal eingenommen werden. Als die Russen sich nach der Oktoberrevolution zurückzogen, war Van zerstört und die Einwohner teilten das Schicksal der anderen Armenier, nämlich Massakrierung und Deportation. So sank die Bevölkerung von 35.000 anno 1889 auf unter 7.000 im Jahre 1927. Das vernichtete und entvölkerte Van kam im Vertrag von Sèvres (1920) zum neuen Staat Armenien, dessen Revidierung durch die Verträge von Kars (1921) und Lausanne (1923) bedeutete die endgültige Zugehörigkeit zur neuen Türkischen Republik. Van wurde 4 km weiter östlich neu aufgebaut, in das demographische Vakuum rückten die kurdischen Nachbarn nach.

Vankatze

Vankatze

Die Vankatze hat ein gelbes und ein blaues
Auge und schwimmt leidenschaftlich gerne.
Foto: privat

Van, das mittlerweile wieder 400.000 Einwohner zählt, ist berühmt für die Vankatzen. Der Export von Tieren dieser extrem teuren Rasse ist strengstens verboten und auch im Ausland sind sie selten. Die Vankatze ist unverwechselbar: ein weißes, dichtes Fell samt buschigem Schwanz und spitzen Ohren, mit denen sie aber leider meistens wie alle weißbefellten Katzen- und Hunderassen wenig bis gar nichts hört. Das ist wohl auch der Grund, warum ihr ausgiebiges Miauen ungewöhnlich laut erklingt. Die Van gilt als echte Schmusekatze, gegenüber Artgenossen aber eifersüchtig bis zur Gewaltbereitschaft. Es sind aber zwei weitere Merkmale, die die Vankatze so speziell machen: Sie schwimmt gerne und hat je ein gelb-oranges und ein blaues Auge.

Türkei kämpft gegen kurdisches Bevölkerungswachstum

Haus in Van

Haus in Van

Die für Van typischen Häuser waren wie dieser Nachbau ausschließlich
aus sonnengetrockneten Lehmziegeln und Holz gebaut.
Foto: privat

Der jährliche Bevölkerungszuwachs von einer Million in der Türkei ist primär ein kurdischer. Die Türkei möchte seinen Teil Kurdistans entvölkern, und zwar durch Wasser (gigantische Staudammprojekte) und Feuer (Niederbrennen tausender Dörfer seit 1993). Durch den Kinderreichtum bleibt die Bevölkerungszahl im Kurdengebiet aber stabil, während der Anteil der kurdischen Flüchtlinge in den Großstädten des türkischen Westens stetig steigt. Im religiösen Zentrum Konya, das durch seine tanzenden Derwische weltbekannt ist, gibt es schon 50 % Kurden und im Moloch Istanbul mit seinen 12-15 Millionen Einwohnern leben bereits 2-4 Millionen Kurden. Auch innerhalb Kurdistans kommt es zwangsläufig zu einer starken Urbanisierung. Die mit Flüchtlingen überfüllten Städte werden von Ankara bewusst vernachlässigt. Daher gibt es in der Provinzhauptstadt Van 50 % Arbeitslose – und bei einem Erdbeben hunderte Tote.

Die kurdische Bevölkerung steht mehrheitlich hinter der Kurdenpartei BDP, die auch in Van den Bürgermeister stellt. Die BDP ist eine säkulare Sammelpartei mit hohem Frauenanteil. Ihre einigende Klammer ist die Unterdrückung durch den türkischen Zentralstaat. Es gibt kaum einen Kurden, der nicht schon Repressionen am eigenen Leib erlebt hat. Immer wieder entlädt sich die gereizte Stimmung zwischen der darbenden Bevölkerung und den omnipräsenten Besatzungssoldaten. Werfen dann Kinder und Jugendliche Steine auf die bestens ausgerüsteten Uniformierten, beginnt eine Jagd. Ganze Stadtviertel werden abgesperrt und alle Jungen kontrolliert. Wer schmutzige Hände hat, sei es auch von der Arbeit oder vom Spiel, wird als Steinewerfer und Terrorist zu einigen Jahren Haft verurteilt und kommt in ein Erwachsenengefängnis an die Schwarzmeerküste oder ganz in den Westen, jedenfalls weit weg von der Familie. Wer die Kerkerhölle überlebt hat, schließt sich nicht selten den Rebellen in den Bergen an. So sorgt der türkische Staat dafür, dass der Zustrom zur PKK nicht abreißt und eine dauerhafte militärische Pattsituation entstanden ist.

Kirche in Van

Kirche in Van

Die Kirche zum Heiligen Kreuz auf Akdamar.
Foto: privat

Auf der Insel Akdamar im stark sodahaltigen Vansee befindet sich die Ruine der Kirche zum Heiligen Kreuz, das letzte Relikt des ehemaligen kulturellen Zentrums der Armenier in dieser Region. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan ließ die Kirche ein bisschen restaurieren, um fürs Ausland die „Weltoffenheit“, „Minderheitenfreundlichkeit“ und „religiöse Toleranz“ seiner islamistischen Regierung zu demonstrieren.

Spenden, die bei den Bedürftigen ankommen

Wer für die Erdbebenopfer in Van spenden will, ohne dass etwas durch österreichische Bürokratie oder exorbitante Devisenüberweisungsgebühren verlorengeht, kann das
unter folgenden Kontonummern tun:

03010 314 274 bei der BAWAG (BLZ 14000),
Kennwort „Van“, Empfänger
Roja Sor – kurdische Hilfsorganisation

oder

920 361 54 bei der PSK (BLZ 60000)
Kennwort „Van“,
Empfänger FEYKOM

FEYKOM ist der kurdische Dachverband in Österreich. Das Geld geht direkt an den Verein Sarmaşik („Efeu“) in der heimlichen Hauptstadt der Kurden Diyarbakir (kurd. Amed). Sarmaşik ist gut organisiert und für die Ärmsten da, wie sich einige freiheitliche Funktionäre im März 2011 persönlich vor Ort überzeugen konnten. Sarmaşik ist derzeit auch in Van engagiert. Damit ist die Gefahr gebannt, dass sich in der Türkei Regierung und Militär die österreichischen Spendengelder aneignen.

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