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4. Dezember 2011 / 09:40 Uhr

Das verborgene Gesicht der Marine Le Pen

Le Pen im WaldMarine Le Pen hat eine eigene Seele? Politische Ideen, die tatsächlich in mancher Hinsicht von denen ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, abweichen? Echte persönliche Netzwerke? Ja, so ist es und es ist ein Journalist, Romain Rosso, der erstmals ein Buch vorlegt, das die Vorsitzende des Front National gewissenhaft beschreibt und dies mit entsprechendem Material untermauert. Das Buch hat den Titel "Das verborgene Gesicht von Marine Le Pen" (La Face cachée de Marine Le Pen ) und es zeigt dabei ihr wahres Gesicht, meint François Maquaire, der das neue Werk für die französische Wochenzeitung Minute besprochen hat.

Endlich! Die Antithese zu der publizistischen Katastrophe („Marine Le Pen“), welche Caroline Fourest und Fiammetta Venner vorgelegt hatten, denen es darum ging, um jeden Preis schändliche Hintergedanken der Marine Le Pen zu "entdecken“. Aber auch ein Gegenstück zum Buch „Le Système Le Pen“ der Le Monde-Journalisten Abel Mestre und Caroline Monnot, denen sowohl Mangel an Perspektive wie auch ein geradezu erschütternder Mangel an Genauigkeit bei der psychologischen Beschreibung der Akteure vorzuwerfen ist. Das nunmehr von Romain Rosso veröffentlichte Buch schafft es erstmals, eine ehrliche Beschreibung dessen vorzulegen, was Marine Le Pen denkt und was sie will, und das noch dazu mit viel weniger Theaterdonner als seine beiden Vorgänger.

Hinter dem einprägsamen Titel Das verborgene Gesicht der Marine Le Pen, den der Verlag dem Buch gegeben hat, zeichnet Romain Rosso, Journalist bei der Wochenzeitung L'Express, wo er seit immerhin 15 Jahren über den Front National berichtet, ein Porträt der Vorsitzende, das genau dem Bild entsprecht, das sich die Menschen, die mit ihr zusammentreffen, von ihr machen. Auch die Auswahl an Anekdoten und sonstigen Einsichten, die das Buch bietet, wurde mit Bedacht und in angemessener Form aus der Vielzahl von vorhandenen Informationen zusammengestellt, um das aufzuzeigen, was für ein klares Verständnis des Werdegangs von Marine Le Pen wesentlich ist und ihre Stärken und Schwächen verständlich macht.

Der Tag, an dem sie Le Pen ihren Rücktritt erklärte

Minute-Cover

Minute-Cover

Die französische Wochenzeitung Minute hat
das neue Buch über Marine Le Pen analysiert.
Foto: http://www.minute-hebdo.fr/

Romain Rosso hat sich nicht getäuscht: Durch die Übernahme des Parteivorsitzes im Januar 2011 durch die 42jährige Marine Le Pen, "die sich nicht mehr um den Algerienkrieg und den Zweiten Weltkrieg kümmert", ist "ein neuer Front National" entstanden, den sie derart aufbauen möchte, dass er auch morgen und übermorgen noch Bestand hat. Offiziell – das ist verständlich – ist ihr Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2012 gerichtet, aber unser journalistischer Kollege, der ihren Aufstieg genau verfolgt hat, weiß natürlich, dass sie auch bereits an das Jahr 2017 denkt, ein Jahr, in dem sie mit 48 Jahren ein sehr gutes Alter für die Präsidentschaft der Republik haben würde. Allerdings wäre sie mit den Umfragewerten, die sie ursprünglich aufzuweisen hatte und die ihr zwischen 15 und 19% Zustimmung unter den Befragten bescheinigten, schwerlich Präsidentschaftskandidatin noch auch Vorsitzende des Front National geworden.

Im Januar 2005, weniger als drei Jahre nach ihrem ersten medialen – und somit auch politischen – Auftritt am Vorabend des zweiten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002, hätte sie beinahe alles hingeschmissen. Bekanntlich hat sie sich aus Wut über die Aussprüche von "Le Pen" – so nennt sie ihren Vater – über die deutsche Besatzung (er sagte gegenüber der Wochenzeitung Rivarol, die Besatzung sei "zumindest in Frankreich nicht besonders unmenschlich gewesen") nach La Trinité-sur-Mer zum Nachdenken zurückgezogen. Sie wollte sich beruhigen und den Fragen von Journalisten entgehen, die sie entweder gezwungen hätten, ihren Vater zu verleugnen – was sie nie getan hätte – oder aber ihn zu verteidigen, was ihr aus Gründen der politischen Raison unmöglich schien.

Front National

Front National

Vater und Tochter Le Pen gingen durch schwere Krisen.
Foto: Neno° (Ernest Morales / flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Unbekannt geblieben ist hingegen die Tatsache, dass Marine Le Pen – die nach Erscheinen des Interviews mit Jean-Marie Le Pen in Rivarol aufschrie: "Verdammt, das ist doch nicht möglich! Das darf doch nicht wahr sein, er hat das mit Absicht getan!" und sich danach kräftig mit ihm zankte – beim Vorstand des Front National ihren Rücktritt deponiert hatte, bevor sie sich in die Bretagne zurückzog. Eine schriftliche Rücktrittserklärung, zu Handen ihres Vaters hinterlegt. – Was hatte sie mit diesem Schreiben verfolgt? Was stand konkret darinnen? Man kann sich vorstellen, dass es sehr lebhafte Worte waren. Rosso kennt sie nicht, wir auch nicht. Aber an der Tatsache, dass es dieses Schreiben gab, besteht kein Zweifel. "Es heißt, ich hätte meinen Rücktritt erklärt und mein Vater hätte diesen abgelehnt", antwortete Marine Le Pen mit verschmitztem Lächeln, als sie von unserem Kollegen interviewt wurde. "Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Zum Glück kann man manche Dinge auch vergessen… ", antwortete auf der anderen Seite Jean-Marie Le Pen.

"Kein Mensch will einen netten Front National!"

Ein weiterer Ausspruch vom alten Le Pen, zitiert im Nouvel Observateur ("Kein Mensch will einen netten Front National!") sorgte ebenfalls für schockierende Wirkung, diesmal aber im positiven Sinn, und führte zu einem neuerlichen politischen Paktum zwischen Vater und Tochter, nachdem es zu einer telefonischen Unterredung zwischen beiden gekommen war. Marine beschloss diese mit den Worten, an die sie sich bis zu ihrer Machtübernahme gehalten hat: "Dann werde ich eben Kandidat gegen Gollnisch sein. Und wenn meine Linie Bestand haben soll, dann wird sie Bestand haben!"

Romain Rosso führt uns sehr deutlich vor, inwiefern sich die Vorgangsweise von Marine Le Pen von der ihres Vaters unterschied, dem die Eroberung der Macht nie gelang. Es war eine Gruppe von verschiedenen Bewegungen, darunter der Ordre Nouveau, die Jean-Marie Le Pen an die Spitze des Front National berufen hatte, es ihm jedoch nie vergönnte, die absolute Vorherrschaft zu erringen. In den frühen Jahren des FN musste er ständig manövrieren, um diejenigen von der Führung fernzuhalten, die meinten, sie könnten ihn wie eine Schachfigur für ihre Züge einsetzen. Er hatte zu kämpfen, um zu halten, was nach der Abspaltung von Mégret im Jahre 1998 zu "seiner" Partei geworden war.

Worin unterscheiden sich die Machtstrategien von Vater und Tochter?

Le Pen

Le Pen

Marine Le Pen wollte beweisen, dass sie recht hatte.
Foto: staffpresi_esj / flickr (CC BY-SA 2.0)

Solange er den Parteivorsitz innehatte, fielen bei Le Pen zwei scheinbar gegensätzliche Konstanten auf: das Bestreben, unterschiedliche "Familien der nationalen Rechten" zusammenzuführen, auf der einen Seite, und das Bestreben, zu teilen und zu herrschen, auf der anderen Seite. Diese Doppeltaktik hatte im Grunde komplementären Charakter: einmal wurde der Vertreter der einen Richtung gegenüber dem anderen bevorzugt, einmal Gollnisch gegen Mégret ausgespielt oder umgekehrt, womit Le Pen jeder Seite eine gewisse Bedeutung und Verantwortung zukommen ließ, zumindest im Bereich derjenigen Sektoren der Partei, über die diese Seite Einfluss ausüben konnte. Marine Le Pen hingegen übt sich weder im Zusammenführen noch im Zerteilen. Menschen zusammenzuführen, die sich in nichts einig sind, ihre Zeit mit sektiererischen Fehden verbringen und vor allem in ihrer Meinung nicht viel wiegen, interessiert sie nicht. Zerteilen wiederum wäre für sie ein Eingeständnis von Schwäche. Es würde erkennen lassen, dass der Front National nicht zu Gänze und ohne Ausnahme auf der von ihr vorgegebenen Linie wäre.

Ihre Taktik der Machterhaltung, die sie erfolgreich bei der Erlangung des Vorsitzes über den FN verfolgt hatte, aber auch im nunmehrigen Präsidentschaftswahlkampf verfolgt, ist diejenige der Fokussierung auf den Apparat – und erforderlichenfalls auch dessen Umgehung. Ab 2005, wo sie noch als "schmollendes kleines Mädchen" galt, wie ihre Gegner von ihr sagten, hatte Marine Le Pen es sich vorgenommen, Politik anders zu machen. Sie wollte "versuchen, aus den Führungsinstanzen des Front National herauszukommen", um "meinen Vater zu zwingen zuzugeben, dass ich recht habe." Letztlich gelang ihr beides. Sie blieb und schaffte die Umgehung. Zunächst umging sie alle Assoziationen mit einer "dynastischen Erbfolge" im Hause Le Pen. Danach zwang sie unter Einsatz aller Medien und ihrer Umfragewerte, gleichsam mit einer massiven Propagandawaffe, die Mitglieder des Front National zuzugeben, dass sie recht hatte.

Die wahre Partei von Marine Le Pen ist die der Jeanne

So errang sie den Vorsitz über den FN und – behielt ihn inne. Auf der einen Seite betoniert sie den Apparat (oder versucht dies zumindest) unter Zuhilfenahme ihres loyalen Sekretärs, Steeve Briois, und durch Installation von ihr getreuen Anhängern, den "Marinisten", in allen wichtigen Positionen der Partei. Auf der anderen Seite befreit sie sich vom Apparat, sofern sie noch nicht völlig die Oberhand hat und er ihr nicht unterwürfig genug oder aber nicht erhaltenswürdig erscheint, indem sie Parallelstrukturen einrichtet.

Jeanne ist symptomatisch für diese Methode. Jeanne ist der Name einer politischen Partei – der Name bezieht sich auf Jeanne d'Arc, sagen die einen, oder aber auf die Tochter Marines, so die anderen -, die von Marine Le Pen am 9. November 2010 gegründet wurde, also zwei gesetzte Monate, bevor sie zur Vorsitzenden des Front National gewählt wurde! Eine Partei, welche ordnungsgemäß beim CNCCFP, der zuständigen Behörde für Wahlkampfabwicklung und Parteienfinanzierung registriert wurde und dort durch einen Finanzvertreter ausgewiesen ist, welcher niemand anderes ist als Steeve Briois. Der steht wiederum in enger Verbindung mit Bruno Bilde, dem Stabschef von Marine Le Pen. Auf jeden Fall also ein Getreuer unter den Getreuen.

Minute hatte im vergangenen April eine diskrete Anspielung auf die Existenz von Jeanne gemacht, als es in einem Artikel hieß, dass die Präsidentschaftskampagne von Marine Le Pen "nicht unter dem Zeichen der Jeanne stehen wird, zumindest nicht politisch". Über dieser Passage stand der Zwischentitel: "Kampagnekonto von Jeanne eröffnet". Jeanne, deren Existenz Romain Rosso uns in allen Details enthüllt, ist nichts anderes als eine Mikropartei ähnlich wie es Cotelec war (und noch immer ist), also jene Mikropartei, die Jean-Marie Le Pen aufgezogen hatte. Kurz gesagt, man bewahrt auch hier die Familientradition. Aber wozu? Dank "größerer Kredite von Privatpersonen", klärt uns Rosso auf, konnte diese Mikropartei "anlässlich der Kantonalwahlen 2011 Geld an fast 500 Kandidaten des FN verleihen." Die Partei selber, die ja noch nicht einmal ihren ehemaligen Hauptsitz in Saint-Cloud verkaufen konnte, wäre alleine dazu nicht imstande gewesen.

Le Pen im Wald

Le Pen im Wald

Marine Le Pen geht ihren Weg zum Teil auch außerhalb der Partei.
Foto: Front National / Wikimedia

Marine Le Pen spielt also geschickt zwischen zwei parallelen Strukturen mit unterschiedlichen Rollen: einer offiziellen und einer inoffiziellen. Es geht dabei um Finanzen, wie man gesehen hat, aber auch um Verlags- und Kommunikationsagenden, die in der Regel nicht von parteiinternen Kräften abgewickelt werden. Das Nebeneinanderbestehen der beiden Strukturen kann natürlich zu Reibungen führen, wie dies schon bei dem Netzwerk Energie Bleu Marine der Fall gewesen war, das Marine aufgezogen hatte, um die Partei von außen her zu erobern, bevor ihr Vater ihr Einhalt gebot. Nunmehr ist sie im Begriff, es mit den Comités Bleu Marine neuerlich zu versuchen; diese stehen unter der Leitung von Marie-Christine Arnautu und es wird versichert, dass es keine Konkurrenz zu lokalen Strukturen des FN geben soll. Man wird sehen.

Tatsache ist jedenfalls, dass "Marine", die allmächtige Vorsitzende des Front National, sich aus der Partei, die sie vor kurzem erst erobert hat, wieder einmal herauszulösen versucht. Wobei sie sich wie immer auf eine Handvoll Getreuer stützt, die nicht unbedingt hochgradig im Organigramm der Partei aufscheinen oder dort Positionen einnehmen, die keineswegs ihren reellen Funktionen entsprechen: das sind die "Héninois" (wie Bilde und Briois), weiters ehemalige Mitglieder des MNR [Mouvement National Républicain] (zB wiederum Bilde und Briois, aber auch Nicolas Bay und Philippe Olivier) oder aber Freunde, in die sie ihr volles Vertrauen setzt.

Das ist Marine Le Pen, "ein Sturschädel" wie ihr Papa, was sie gerne auch zugesteht, und fest entschlossen, ihr schönes politisches Abenteuer mit den ihr eigenen Methoden, ihren eigenen Netzwerken und ihren eigenen Vertrauensleuten – kurz mit ihrem eigenen Team von "leichten Kavalleristen" – zu bestehen. Damit will sie das erringen, wovon der alte Le Pen immer nur träumen konnte: die Macht.

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