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25. Dezember 2011 / 10:05 Uhr

Kroatien im Endspurt zum EU-Beitritt

Am 9. Dezember wurde beim Brüsseler EU-Gipfel nach fast sechs Jahre dauernden Beitrittsverhandlungen der Beitrittsvertrag mit Kroatien unterzeichnet. Schon 1991 stand in Kroatien der Wunsch nach einem EU-Beitritt ganz oben auf der politischen Wunschliste. Noch in den Wirren des Kroatienkriegs 1994 wurde mit der EU-Verhandlungen über einen Beitritt zum Stabilisierungsabkommen begonnen, diese konnten jedoch ob der Kampfhandlungen nicht abgeschlossen werden.

Analyse von Andreas Mölzer, Mitglied des Europäischen Parlaments

Zuerst müssen die Kroaten in einer Volksabstimmung über den Beitritt entscheiden (derzeit sind 40 Prozent der Kroaten EU-Befürworter). Dann beginnt der Ratifizierungsprozess in den 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – kein EU-Mitgliedstaat plant zum kroatischen Beitritt ein Referendum abzuhalten. Schließlich soll die kroatische Republik am 1. Juli 2013 Teil der EU werden. Mit dem Beitrittstag muss Kroatien den gesamten gemeinschaftlichen Besitzstand vollständig umsetzen. Ähnlich wie bei früheren Erweiterungen sind befristete Übergangsbestimmungen in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Kapitalverkehr, Landwirtschaft und Arbeitnehmerfreizügigkeit vorgesehen.

Kroatische Stolpersteine

Bei den kroatischen Beitrittsverhandlungen spielten Angelegenheiten, die eigentlich nicht offiziell zum „acquis communautaire“, dem gemeinschaftlichen Besitzstand gehören, eine Rolle. Etwa wirkte der Kroatienkrieg insofern nach, als die Auslieferung einstiger hochrangiger Generäle der kroatischen Streitkräfte als Beitrittsvorbedingung verlangt wurde. Erst mit der Auslieferung von General Ante Gotovina wurde Kroatien seitens des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag die Zusammenarbeit bescheinigt – dabei handelt es sich beim Tribunal nicht einmal um eine EU-Institution. Aber auch Nachbarschaftsstreitigkeiten (der Grenzkonflikt um die Bucht von Piran mit Slowenien und ein Disput über Fischereirechte) sorgten für monatelangen Verhandlungsstopp.

Euro-Einführung frühestens 2018

Piran

Piran

Der Streit um die Fischereirechte in der Bucht von Piran verzögerte
die kroatischen Beitrittsverhandlungen.
Foto: Captain Blood / de.wikipedia.org

Auch wenn ein Beitritt zur Europäischen Union nicht automatisch Hand in Hand mit einem Euro-Beitritt geht, ist Kroatien dennoch bereits jetzt mit dem Schicksal der Eurozone verbunden. Schließlich ist das kroatische Währungssystem bereits jetzt stark an den Euro gekoppelt – fast alle Preise werden in Euro ausgezeichnet. In Kuna wird nur mehr bezahlt und zu einem geringen Teil gespart. Letztlich ist das Vertrauen der Kroaten in die eigene Landeswährung nach den Hyperinflations-Erfahrungen der 80er und 90er Jahre gering.

Der fixe Euro-Wechselkurs hat aber auch seine Nachteile, so kann Kroatien das Wechselkursinstrument nicht verwenden, um etwa die Exporte zu verbilligen und damit die Wettbewerbsfähigkeit beizubehalten. Nach den momentanen Turbulenzen in der Eurozone rechnet Kroatien jedenfalls mit verschärften Bedingungen für künftige Euroeinführungen. Wirtschaftsexperten erwarten, dass Kroatien – je nach Entwicklung der Eurozone – frühestens 2018 den Euro einführen kann.

Reformfortschritte werden weiter beobachtet

Mit Zypern holte sich die Union einen offenen Grenzkonflikt ins Haus, mit den Balkanstaaten Rumänien und Bulgarien Korruption. Derartiges soll sich mit dem kroatischen Beitritt auf keinen Fall wiederholen. Noch vor kurzem sah die Europäische Kommission schwere Mängel im Justizsystem Kroatiens und bei den Grundrechten. Im EU-Parlament und in den Mitgliedstaaten wurde gar die Einrichtung eines Kontrollsystems vorgeschlagen. Nach Ansicht der Kommission wurde Kroatien bereits während der Verhandlungen um einiges strenger bewertet als bisherige Beitrittskandidatenländer, weshalb sie für Kroatien kein Überwachungssystem ähnlich jenem für Bulgarien und Rumänien als notwendig erachtet. Zumal die justiziellen Mängel in einer Reform beseitigt wurden.

Rotes Tuch Rechtsmängel

Seitdem Bulgarien und Rumänien 2007 in die EU eintraten ohne die angekündigten Justizreformen tatsächlich umgesetzt zu haben, ist man in Brüssel sehr vorsichtig geworden. Seit Jahren werden in diesen beiden Ländern gravierende Mängel festgestellt. Da die ständigen Appelle sich als nutzlos erwiesen, soll der Schengenbeitritt als Druckmittel für die nötigen Reformen sorgen.

Als positiv wird auch bewertet, dass mit Ivo Sanader ein ehemaliger Ministerpräsident wegen Korruption vor Gericht steht (ihm wird Betrug, Korruption und Bandenbildung vorgeworfen) und die Ankläger der Sonderstaatsanwaltschaft immer neue Bestechungsaffären aufdecken. Bis zum Beitritt will die kroatische Regierung die Korruption im Lande besiegt haben. In der Zwischenzeit wurde die in Korruptionsskandale verstrickte Regierungspartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), deren Vorsitzender Sanader war, bei den Parlamentswahlen von den Wählern abgestraft. Der sozialdemokratische Wahlsieger muss einer schwer angeschlagenen Wirtschaft aus der Krise helfen. Dabei helfen soll der EU-Beitritt mit seiner wirtschaftlichen Sogkraft. Schließlich ist die EU Kroatiens wichtigster Handelspartner und größter ausländischer Investor.

AKW Krsko

AKW Krsko

Österreich fordert von Kroatien die baldige Stilllegung des AKW Krsko,
das gemeinsam mit dem Nachbarland Slowenien betrieben wird.
Foto: Sl-Ziga / Wikimedia / public domain

Nach den schlechten Erfahrungen mit Balkanländern wird indes von Brüssel stets betont, dass die Reform-Anstrengungen Kroatiens auch nach dem Ende der Verhandlungen nicht nachlassen dürfen. Ergo werden auch nach dem offiziellen Beitritt die Fortführungen bestimmter Reformen seitens der Europäischen Union weiterhin beobachtet. Konkret gilt es, wirtschaftliche Strukturreformen vorzunehmen, das Beschäftigungsniveau durch Belebung des Arbeitsmarktes anzuheben, eine Haushaltskonsolidierung anzustreben und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu verbessern. Seitens des Europäischen Parlaments wird zudem auch die Fortsetzung der Integration der zurückkehrenden serbischen Kriegsflüchtlinge eingemahnt.

Verschärftes Beitrittsverfahren

Kroatien ist das erste Land, bei dem das nach den bulgarisch-rumänischen Erfahrungen verschärfte Beitrittsverfahren angewandt wurde. Dieses sieht vor, dass bei der Eröffnung und dem Abschluss von Verhandlungskapiteln jeweils ein Leistungsnachweis erfolgen muss, etwa dass Gesetzesakte auch tatsächlich umgesetzt werden.

Nicht auf den Lorbeeren ausruhen

Für die EU, aber auch für Kroatien selbst, wird es wichtig sein, sich nicht auf dem EU-Beitritt als erreichtem Etappenziel auszuruhen, sondern die notwendigen Reformen zügig umzusetzen und den Kampf gegen die Korruption voranzutreiben. Zagreb ist zudem dringend dazu angehalten, einen Ausstieg aus der Atomkraft zu forcieren und darauf hinzuwirken, das unter kroatischer Beteiligung geführte AKW Krsko stillzulegen.

Gerade die kroatischen Verhandlungen haben aber – ebenso wie das Beispiel Kosovo – wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wie in Brüssel mit zweierlei Maß gemessen wird. Vom christlich, mitteleuropäisch geprägten Kroatien wird beinahe Unmögliches verlangt, während die islamische, kleinasiatische Türkei stets mit Nachsicht rechnen kann. Dass in der Türkei Reformen hauptsächlich auf dem Papier bestehen, und ethnische und religiöse Minderheiten wie Kurden und Christen unter ständigen Diskriminierungen zu leiden haben, scheint in Brüssel niemanden zu stören. In die Türkei-Verhandlungen muss mehr Ehrlichkeit einziehen und der Weg für eine privilegierte Partnerschaft frei gemacht werden.

Andreas Mölzer schreibt regelmäßig in der Wochenzeitung "Zur Zeit".

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