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16. Jänner 2012 / 09:51 Uhr

Libyen: Der Krieg der Milizen

BildIn Libyen haben sich die Aufständischen durchgesetzt. Das bemühen sich ihre westlichen Kampfgenossen, die Bürger Europas glauben zu machen. Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ist tot, die Scharia ist die Basis der neuen libyschen Verfassung, doch von Frieden im Land kann nach wie vor keine Rede sein. Mittlerweile berichten auch die Massenmedien wie etwa ORF.at über schwere Kämpfe zwischen Milizen. Der französische Afrika-Forscher Bernard Lugan veröffentlichte im französischen Nachrichtenportal Novopress eine Analyse der Lage. Hier geht’s zum französische Original.

Bernard Lugan

Bernard Lugan

Afrika-Forscher Bernard Lugan.
Foto: Novopress

Es bedurfte der Meldungen über die erneuten Kämpfe in Libyen Anfang des Monats, bis die französische Presse sich endlich zu dem Eingeständnis durchrang, dass es im Lande verschiedene Milizen gibt, die miteinander um die Macht ringen, speziell in Tripolis. Die verwirrenden "Analysen" der französischen Medien haben indes keine klare Sicht der Dinge vermitteln können, wie denn nun eigentlich die Lage vor Ort aussieht.

Tripolis ist Schauplatz eines Kampfes zwischen im Wesentlichen vier bewaffneten Gruppen:

1.) Die Milizen aus der Stadt Misrata, von denen Oberst Gaddafi in schmählicher Weise zu Tode gelyncht wurde und die sich nun weigern, die Hauptstadt wieder zu verlassen, wo sie als eine Art Leibstandarte des Innenministers Faouzi Abdelal fungieren, der ebenfalls aus Misrata stammt. Die gegenwärtigen Kämpfe finden vor allem zwischen diesen Milizen und den Unterstützern des sogenannten Rates des Nationalen Übergangsregierung statt. Um Misrata zu befrieden, hatte der schwache und machtlose Übergangsrat versucht, den ebenfalls von dort stammenden General Youssef al-Mankouch als Stabschef einer Phantomarmee einzusetzen, dessen Aufgabe es sein sollte, eine Integration der verschiedenen Milizen zu erzielen. Eine reine Traumvorstellung, wie sich gezeigt hat.

2.) Die islamistischen Milizen von Tripolis, deren stärkste Kräfte zugleich den bewaffneten Arm des Übergangsrats bilden und die von außen her die Unterstützung von Katar genießen, versuchen derzeit, ihre Macht in der Hauptstadt zu festigen, indem sie die Kontrolle über die Straße zum Flughafen erlangen wollen, die sich jedoch nach wie vor unter der Kontrolle der Miliz von Zenten befindet.

Libyen

Libyen

Kampfzonen während des Aufstands in Libyen. Nach dem "Sieg" der
Rebellen ziehen die Milizen der verschiedenen Gruppen nach Tripolis.
Bild: Rafy / WIkimedia

3.) Die Miliz von Zenten, eine Volksgruppe, die von der Presse gerne als Araber dargestellt wird, obwohl es sich eigentlich um Berber handelt. Schon der Name Zenten deutet darauf hin, denn die Z'nata oder Zénète sind eine der wichtigsten Volksgruppen der Amazigh, also der Berber. Dieser arabisch-sprechende Berber-"Stamm" besiedelt Teile des Jebel (in der Berbersprache: Adrar) Nafusa, des Berglands rund um die Stadt Zenten. Der gegenwärtige Verteidigungsminister Osama Jouli stammt aus Zenten. Diese Miliz von Zenten ist es auch, die den hier festgehaltenen Saif al-Islam, den Sohn des Obersten Gaddafi, mit Respekt und sogar mit Hochachtung behandelt.

4.) Im übrigen Gebiet des Jebel Nafusa und in der Küstenstadt Zuwara leben ebenfalls Berber, die jedoch im Unterschied zu den Leuten von Zenten die Berbersprache beibehalten haben und über ihre eigene Miliz verfügen. Die Berber stellen etwas mehr als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung von Libyen, in Tripolitanien hingegen mindestens 20 Prozent, was ihnen ein erhebliches regionales Gewicht verleiht. So spielten sie eine entscheidende militärische Rolle bei der Einnahme der Stadt Tripolis, sind aber heute die großen Verlierer, da sie sich unter den neuen politischen Verhältnissen genauso wie vor dem Sturz Gaddafis mit einem arabisch-muslimischen Nationalismus konfrontiert sehen, der ihre Existenz schlichtweg leugnet. Es ist somit auch nicht verwunderlich, dass kein Minister der neuen Regierung der berbersprachigen Gruppe angehört.

Übergangsrat ist in schwacher Position

In diesem politischen Wirrwarr von Stammesfehden erscheint der Übergangsrat, obwohl er als der einzige Vertreter aller Libyer von Frankreich und der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird, eher alleinstehend und hilflos. Sein Manövrierraum beschränkt sich im Wesentlichen darauf, an die einen Pfründe zu verteilen, während er darauf bedacht sein muss, sich die anderen nicht zu entfremden. Im Augenblick scheint das wenig zu gelingen, weil sowohl die berbersprachige Bevölkerung wie auch die Warfalla, ein weiterer tripolitanischer Stamm aus der Gegend um die Stadt Bani Walid, sich gegen ihn stellen. Die große Gefahr, die dem Übergangsrat droht, wäre die Bildung einer Allianz von Unzufriedenen, zu denen sich auch die Milizen von Zenten und vom Jebel Nefasa, die tripolitanischen Warfalla und die Stämme der Sirte und aus Sebha gesellen würden, denen allen die schmähliche Behandlung, die Oberst Gaddafi widerfahren war, noch in naher Erinnerung ist. Auch die Tuareg und Tubu im Süden hatten noch nie besonders freundliche Gefühle gegenüber den neuen Machthabern Libyens gehegt.

In Libyen steht alles sichtlich vor einem Neubeginn. Es wäre sicherlich klüger gewesen, die Situation gründlich zu analysieren, bevor man den medialen Einflüsterungen eines Bernard-Henri Lévy Folge leistete und sich Hals über Kopf in die Falle der sogenannten humanitären Intervention begab.

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