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25. Jänner 2012 / 10:23 Uhr

Ungarns Botschafter sieht “Kampagne, in der die Fakten fehlen”

Das ungarische Volk steht geeint hinter Regierungschef Viktor Orbán. Die Opposition ist zersplittert und besitzt kaum Mobilisierungskraft. So hat Ungarns Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky die Lage in seinem Land im ersten Teil des Unzensuriert-Interviews skizziert. Trotz dieser politische Realität wird die Europäische Union nicht müde, Druck auf Ungarn auszuüben – aktuell mit drei Vertragsverletzungs-Verfahren. Eine Schlüsselrolle spielen die Medien, wie auch der Botschafter bestätigt. Sie hat sich die Regierung Orbán mit einem umstrittenen Gesetz zum Gegner gemacht.

Es stehen einige Gesetze sehr stark in Diskussion auf europäischer Ebene. Es wird drei Vertragsverletzungs-Verfahren gegen Ungarn, geben. Sehen Sie die Gefahr, dass über diese Schiene Ungarn gezwungen wird, wieder Vieles zu revidieren?

Botschafter

Botschafter

Ungarns Botschafter in Wien, Vince Szalay-Bobrovniczky, sieht Ungarn
heute in einer ähnlichen Situation wie Österreich im Jahr 2000.
Foto: Unzensuriert.at

Vince Szalay-Bobrovniczky: Das ist noch schwierig zu sagen. Aber fest steht, dass in Europa momentan mehrere hundert Vertragsverletzungs-Verfahren laufen. Bei uns geht es um das Notenbankgesetz, um das Gesetz über die Pensionierung der Richter und um den Ombudsmann für Datenschutz, dessen Leiter von der Regierung nominiert werden soll, was im Übrigen in Österreich auch der Fall ist und weswegen Österreich seit mehreren Jahren unter Vertragsverletzung-Verfahren steht.

Wenn es, wie Sie sagen, hunderte Vertragsverletzungs-Verfahren in der EU gibt, ist es dann Teil einer Medienkampagne, dass die Zeitungen in ganz Europa über die drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn berichten?
Vince Szalay-Bobrovniczky: Man kann sich darüber fast freuen, dass unsere Gesetze allmählich zu Bestsellern in Europa werden. Das bedeutet, sie sind wirklich gut. Aber Spaß beiseite, es gibt tatsächlich eine sehr konkrete und sehr harte Medienkampagne gegen Ungarn. Diese wird ohne Fakten geführt, eine nicht so sehr überraschende Tatsache, die kennen wir aus der Geschichte Österreichs und der Europäischen Union, wo man auch eine Medienkampagne aufgezogen hat im Jahr 2000, auch ohne Fakten, ohne Begründung. Österreich wurde schließlich Recht gegeben. Ich sage auch immer in der letzten Zeit in den Gesprächen, zu denen ich gebeten werde, dass wir damals volle Solidarität gezeigt haben. Wir haben sogar den Bundeskanzler nach Ungarn eingeladen. Das Volk hat entschieden, in Ungarn wie in Österreich, als damals eine neue Regierung kam. Daran kann man nicht von außen rütteln, wenn man das Prinzip der Volksentscheidung ernst nimmt. Das ist die eine Sache und die andere ist, dass man nur an den geleisteten Taten gemessen werden darf. 

Das ist alles richtig was Sie sagen, aber muss man nicht der ungarischen Regierung zumindest den Vorwurf machen, dass sie taktisch nicht sehr clever war. Sie hat sich zwei große Gegner gemacht: mit dem Mediengesetz die Journalisten und mit der Entscheidung über die Umwechslung der Fremdwährungskredite die Banken, die auf europäischer Ebene auch nicht ganz einflusslos sind. In Österreich besitzen ja sogar die Banken die Medien…
Vince Szalay-Bobrovniczky:  … richtig, in Ungarn eine relativ unvorstellbare Sache!

Ungarn Demo

Ungarn Demo

Viele Demonstranten in Ungarn halten die Berichterstattung westlicher Medien
für gelogen. Eine halbe Million Menschen ging für Orbán auf die Straße.
Foto: Jan Mainka / Budapester Zeitung

Waren das taktische Fehler?
Vince Szalay-Bobrovniczky:  Uns wurden mehrere taktische Fehler vorgehalten. Der erste war angeblich das Gesetz über die Erlangung der doppelten Staatsbürgerschaft für die Auslandsungarn. Wenn die Regierung das nicht ins Parlament gebracht hätte, dann wäre das Gesetz von Jobbik gekommen und die Hysterie hätte kein Ende. Mehrere Länder haben ein solches Gesetz, wieso dürfen wir das nicht auch haben? Im Dezember haben wir das Mediengesetz passieren lassen, nach wirklich langwierigen Verhandlungen im Parlament, über 6 Monate haben wir alles ausdiskutiert. Dieses Mediengesetz spart dem Staat viel Geld mit neuen Strukturen, die zusammengelegt werden. Ob das eine gute Idee war, das noch vor der Europäischen Präsidentschaft zu verabschieden, weiß ich nicht, aber stellen Sie sich vor, wir hätten keine Präsidentschaft in der ersten Hälfte des vorigen Jahres gehabt, dann hätten wir das gleiche, nein ein dreimal so großes Theater gehabt. Der Leiter der Medienbehörde ist eine Vertrauensposition, jede Regierung hat das Recht, diesen Leiter zu ernennen, so geschieht das auch in Frankreich und in anderen Ländern. Die Pressefreiheit, das haben wir zigmal bewiesen, wird nicht verletzt. Es gibt kein Beispiel für die Verletzung der Pressefreiheit. Alle politischen Meldungen sind erlaubt. Der Herr Ministerpräsident selbst hat dazu mehrmals gesagt, dass was hier im Westen in den Medien läuft ein Kindergartentheater ist im Vergleich zu dem, was sich in den ungarischen Medien gegen die Regierung abspielt. Das sehe ich zwar ein bisschen anders, trotzdem ist in Ungarn auch medial gesehen die Hölle los. Aber da gibt es zumindest einige Medien, die eine andere Meinung zu Tage fördern können. Im Westen gibt es wenige Beispiele. 

Fotogalerie: Ungarn steht zu Viktor Orbán

Wir haben möglicherweise, um auf die Frage zurückzukommen, hie und da zeitlich gesehen taktische Fehler gemacht. Das bezweifelt keiner. Wenn man, so wie in den vergangenen anderthalb Jahren, 365 Gesetze im Parlament verabschiedet, kann man Fehler machen. Der Druck, der auf uns lastet, ist demgegenüber völlig unverhältnismäßig. Und wie gesagt, es läuft eine Kampagne gegen uns, in der die Fakten fehlen.

Manche Medien haben sogar schon Sanktionen gegen Ungarn verlangt. Die hat es ja damals auch gegen Österreich gegeben. Spüren sie bereits soziale Spannungen in Ihrem diplomatischen Leben? Gibt es Diplomaten, die Sie meiden?
Vince Szalay-Bobrovniczky: Nein, eindeutig nicht. Bisher wurden wir von den Regierungsstellen immer sehr offen aufgenommen und können alles besprechen, wie das auch früher war. Die österreichische Politik sendet ja auch keine falschen Signale in die Welt und dafür bin ich dankbar. Wir spüren von einer Seite ganz gewaltigen Druck hier, das sind die Medien, mit denen wir auch sehr offen sprechen. Aber da gibt es leider ein ungleiches Verhältnis. Und wir spüren ein bisschen mehr Druck von der Wirtschaft, die ich gut verstehen kann. Ich spreche mit den Vorständen von Banken und versuche, ihre Meinungen, ihre Ängste auch weiterzuleiten. Wir wollen hier nicht die Konflikte verstärken, sondern wir wollen, dass die bereits bestehenden Meinungsverschiedenheiten irgendwie zur Ruhe kommen.

Lesen Sie morgen: Ungarns Botschafter über die wirtschaftliche Lage im Land.

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