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30. April 2012 / 00:12 Uhr

Das Ammenmärchen vom rettenden Wachstum

BildNach Jahren der Krise ist nun in Europa wieder von Wachstum die Rede. Die Wirtschaft erholt sich, sagen manche Institute voraus. Doch es bleiben Risiken, die weiterhin in erster Linie von der Finanzbranche ausgehen. Jahrelang wurden Banken gerettet, doch nach wie vor halten sie die Staaten in Geiselhaft und tragen ihrerseits wenig bei, demn eingeschlagenen Wachstumspfad zu verstärken. Eine aktuelle Analyse des britischen Finanzbloggers David Malone auf seiner Webseite Golem XIV zeigt auf, wie Banken nach wie vor gegen Staaten spekulieren. Unzensuriert.at hat Malones Beitrag übersetzt.

Das Wachstum wird uns retten?

David Malone

David Malone

David Malone
Foto: www.debtgeneration.org

Es gibt viele Gründe für die Annahme, dass der europäische „Erholungsplan“ nicht funktionieren wird; das gilt schon heute und das gilt auch für die Zukunft, egal wie lange wir auch gezwungen sein werden, ihn zu subventionieren. Neuerdings gibt es noch einen weiteren Grund für die Richtigkeit dieser Annahme – Francois Hollande ist jetzt der Favorit im Rennen gegen Nicolas Sarkozy um die künftige französische Präsidentschaft.

Die Aussicht allein, dass ein Hollande dieses Amt übernehmen wird, führt dazu, dass sich alle europäischen Märkte steil nach unten bewegen. Der Grund? Hollande hat deutlich gemacht, dass er Frankreichs Rolle bei den verschiedenen europäischen Rettungspaketen "neu verhandeln" werde. Jeder Versuch einer solchen Neuverhandlung würde jedoch von der Fiktion eines europäischen Rettungsfonds nur mehr einen Trümmerhaufen übriglassen.

Hollande glaubt offenbar nicht an die fromme Fiktion, die wiederum der gesamten europäischen und weltweiten Fiktion der wirtschaftlichen Erholung zugrundeliegt, nämlich dass es jetzt oder bald – sehr bald, in naher Zukunft, nur ein kurzes Stück Weges entfernt … – wieder Wachstum geben werde. Wachstum soll Griechenland wieder solvent machen und soll Spanien in die Lage versetzen, dem Dammbruch seiner regionalen Schulden entgegenzuwirken, die das Land überfluten und die Raten für Kreditausfall-Versicherungen (Credit Default Swaps, CDS) in unerschwingliche Höhen treiben.

Nicht nur Hollande misstraut dem Wachstumsplan

Hollande ist die erste, wird aber nicht der letzte sein, der dem Wachstumsplan sein Nichtfunktionieren bescheinigt. Das niederländische Parlament ist zusammengebrochen, weil man sich nicht auf ein gemeinsames Verfolgen dieser Fiktion einigen konnte. Wir haben eben kein Wachstum. Was derzeit stattfindet, sind Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, während gleichzeitig die öffentlichen Mittel abgeschöpft werden, um damit mehr und mehr Rettungsaktionen für die Banken zu bezahlen.

Nur ein kurzer Blick auf das, was in Spanien zu erwarten sein wird, reicht, um den Nebel über den Lügen zu lichten. Ich und viele andere haben seit weit über einem Jahr erklärt, dass Spanien Schulden in seinen Regionen versteckt gehalten habe. Dies stellt sich jetzt als richtig heraus. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Carmel Asset Management zeichnet sogar ein sehr hässliches Bild. Wenn man nämlich die regionalen Schulden hinzurechnet, erhöht sich die gesamte Schuldenlast Spaniens von einer offiziellen Zahl von 60 % des BIP auf 90 %. Dazu kommt noch erschwerend, dass alle spanischen Sparmaßnahmen des vergangenen Jahres die spanischen Schulden nicht auch nur um einen einzigen Euro verringert haben. Mit höherer Arbeitslosigkeit und immer unerschwinglicher werdenden Fremdkapitalkosten steht Spanien heute noch schlechter da als je zuvor.

Enormer Refinanzierungsbedarf in Spanien

Der Studie von Carmel zufolge, und ich stimme dem zu, unterschätzen Spaniens Banken nach wie vor in gravierendem Ausmaß ihre bereits bestehenden Verluste wie auch die noch zu erwartenden Verluste aus den Riesenkrediten, die an Bauträger und Hauseigentümer gewährt wurden. Weitere Verluste aus diesen "Vermögenswerten" bedeuten aber nichts anderes als noch mehr Forderungsausfälle für die Banken. Diese werden dann von der spanischen Regierung übernommen und das wird natürlich Spaniens Fähigkeit, seine bereits bestehenden Schulden zu finanzieren, noch weiter verringern. Im Jahr 2012 allein wird Spanien bestehende Schulden in Höhe von 186 Milliarden Euro refinanzieren müssen. Und der Zinssatz dafür wird über demjenigen liegen, der bisher bezahlt werden musste. Die spanische Armada ist also am Untergehen.

Das Problem (oder zumindest eines der Probleme) ist es, dass zwar unsere Führungselite auf Wachstum spekuliert, um uns zu "retten", dass die Banken selber dies jedoch nicht tun. Deren Triebfeder ist vielmehr die Angst. Die Führungselite glaubt, dass eine "Rettung" der Banken diese veranlassen würde, ihrerseits uns beizustehen, indem sie Investitionen in Wachstum tätigen. Sie begreifen dabei aber nicht, dass "Investieren" nicht eben zu den vornehmlichen Zielen des globalen Bankgeschäfts gehört. Ich sprach vor kurzem mit Bankern in der Londoner Innenstadt, die Investitionsgeschäfte tätigen, indem sie kleinen und mittleren Unternehmen Finanzierungen anbieten. Sie waren sich in einem Punkt völlig einig: Es wird immer schwieriger und keinesfalls leichter, Geld für solche Investitionen aufzutreiben. Die großen Banken und großen Fonds sind nur an kurzfristigen Spekulationsgewinnen interessiert, nicht aber an langsamen Renditen.

Banken wetten auf spanischen Zahlungsausfall

Wer große und wachsende Verluste aus Forderungsausfällen einfährt, kann diese nicht durch vorsichtige, langsame Renditen wieder wettmachen. Je höher und riskanter der bisherige Schuldenberg ist, desto größer wird der Druck, genau jene Art von hochriskanten Spekulationsgeschäften zu verfolgen, die einen zuvor schon in Schwierigkeiten gebracht haben. Wenn man die Wahl zwischen einer Investition in spanische Fabriken oder dem Kauf bzw. Verkauf von spanischen CDS (Kreditausfall-Swaps) hat, um bestehende Schulden abzudecken, dann wird der "smarte" Banker, der sich zudem sein Bonus-Geld erwirtschaften möchte, lieber das zweitgenannte Risiko eingehen. Ein konkretes Brokerage-Geschäft, das in der von mir zitierten Carmel-Studie geschildert wird, ist ein gutes Beispiel. Auf Seite 9 der Studie heißt es:

Wir begannen mit dem Kauf von spanischen CDS im 4. Quartal 2011 mit einem Kupon über 3,5% des theoretischen Jahresertrags – effektiv also eine Optionsprämie auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch Spaniens. Sollte die spanische Krise im Jahr 2012 wie von uns erwartet voll ausbrechen, so können wir als Jahresprämie eine 300%ige Rendite ziehen.

300 Prozent! Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen nehmen sich natürlich gegenüber einer potentiellen Rendite von 300 % bescheiden aus, selbst wenn es dabei um eine Spekulation auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch Spaniens geht. Sie können wählen…

Banken treten auch als Kreditversicherer auf

Das Bankgeschäft beruht wie gesagt auf Angst, genauer gesagt, auf der Furcht vor Volatilität. Es verfolgt aber grundsätzlich nicht das Ziel, Wachstum zu unterstützen. Banken tun in diesem Bereich das politisch notwendige Minimum, aber nicht mehr. Die großen Banken kaufen festverzinsliche Wertpapiere (Anleihen und andere durch Schuldverschreibungen gesicherte Wertpapiere) und bieten zugleich CDS-Versicherungen auf dieselben Wertpapiere an. Genau so, wie seinerzeit mit Versicherungsschutz auf Hypotheken gehandelt wurde.

Die großen amerikanischen Banken gehören zugleich zu den größten Versicherern europäischen Schulden. Bei Bloomberg war zu lesen:

Der Umsatz von US-Banken bei Versicherungen gegen Kreditausfälle an Inhaber von griechischen, portugiesischen, irischen, spanischen und italienischen Schuldverschreibungen stieg im ersten Halbjahr 2011 an, was das Risiko von erforderlichen Auszahlungen im Falle von Ausfällen enorm erhöhte. Der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zufolge stiegen die Garantien von US-Kreditgebern für staatliche, Bank- und Unternehmensanleihen in diesen Ländern um 80,7 Milliarden Dollar auf 518 Milliarden Dollar. Es handelt laut Insidern sich fast durchwegs um Credit Default Swaps.

Nun stellt sich dabei folgendes heraus:

Die CDS-Bestände bei US-Banken sind fast dreimal so hoch wie ihre direkte Kreditvergabe an die genannten fünf Länder [Portugal, Italien Irland, Griechenland und Spanien], welche sich Ende Juni 2011 auf 181 Milliarden Dollar belief.

US-Investmentbanken wälzen Risiken ab

Ergo: Das Geld, das wir mittels aller "Rettungsschirme" wie TARP, EFSF oder Kauf von Staatsanleihen den großen Banken gegeben haben, um ihnen aus der Patsche zu helfen, wurde NICHT in Wachstum investiert. Vielmehr haben die Banken weiterhin auf spekulative Wetten auf Ausfälle und wirtschaftliche Zusammenbrüche gesetzt. Und wie stabil sind diese Wetten? Ganz einfach, weltweit werden 74 % aller CDS von nur 20 Händlerbanken gehandelt. Von denen, die in Amerika verkauft werden, werden 97 % von nur 5 Banken kontrolliert. Hier sind einige Grafiken über die Größe des CDS-Marktes und die Verlustrisiken der Banken mit Werten, die jede Vorstellungskraft übersteigen.

Die größten und zugleich dem stärksten Risiko ausgesetzten Banken sind Goldman Sachs und JP Morgan; diese Banken erklären natürlich, dass ihr Netto-Verlustrisiko im Falle einer Auszahlung nur relativ gering sei, weil sie sich mit Rückversicherungen für ihre eigenen Versicherungen abgesichert haben. Doch eine Versicherung hat nicht zur Folge, dass Risiko und Verluste verschwinden. Diese werden lediglich transferiert. Und jedes Mal, wenn ein Risiko transferiert wird, wird die Kette um einen weiteren Vertragspartner erweitert, der derjenige sein könnte, der nächstens nicht zahlen kann. Man spricht hier von Kontrahentenrisiko. In dem Maße, wie die Versicherungskette wächst, so wächst auch das akkumulierte Kontrahentenrisiko.

Wer sind die Kontrahenten?

Somit bleibt die gleiche Frage zu stellen, die es bereits während der Hypothekenkrise zu stellen galt: Wer sind die Kontrahenten? Ich sprach kürzlich mit einem Banker, der sich besorgt wegen seines Kontrahenten äußerte, weil es um eine große Anzahl von riskanten Investitionen ging: Es war die Commerzbank. Ausgerechnet diese Bank, die manche als "lebenden Toten" in Deutschland bezeichnen, war die Gegenpartei, die diesen Banker im Falle von drohenden Verlusten retten sollte! Man stelle sich ein Rettungsboot aus Blei vor, das einem von einem sinkenden Schiff retten soll…

Fazit: Es gibt immerhin ein Wachstum in Europa – das Wachstum des Kontrahentenrisikos.

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