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5. Juli 2012 / 13:31 Uhr

160 Wirtschaftsprofessoren gegen “Euro-Rettung”

160 Wirtschaftswissenschafter haben ihren „lieben Mitbürgern“ einen Brief geschrieben, deren Endadressaten in Wahrheit die politischen Entscheidungsträger sind, namentlich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Die Ökonomen kritisieren die Beschlüsse des letzten EU-Gipfels, insbesondere den Umbau der Euro-Gemeinschaft zu einer „Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet“. Unterschrieben haben Professoren aus dem deutschsprachigen Raum. Österreicher sind allerdings spärlich gesät.

Während sich die meisten Wirtschaftsexperten in Deutschland schon länger in offener Opposition zu den wirtschafts- und währungspolitischen Beschlüssen der Politgranden befinden, ist diese kritische Haltung in Österreich nicht besonders ausgeprägt. Umso bemerkenswerter ist es, dass auch der ehemalige Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Bernhard Felderer, den Brief unterzeichnet hat. Zumindest nach seinem Ausscheiden aus dem politiknahen Wirtschaftsforschungsinstitut nimmt er sich kein Blatt mehr vor den Mund. Aus Wien zählen zudem der prominente Volkswirtschafts-Professor Erich Streißler sowie Manfred Deistler, emeritierter Professor für Wirtschaftsmathematik an der TU Wien. Von der Grazer Karl-Franzens-Universität haben der VWL-Professor Martin Wagner sowie der als Buchautor bekannt gewordene Max Otte, der ebenfalls dort lehrt, unterschrieben.

Politiker nehmen Expertenrat nicht an

Unabhängig von der Zahl der Wissenschaftler, die fundiert begründet gegen die Euro-Politik Stellung beziehen, ist die Wirkung gering. Die Politiker – ob Merkel oder Faymann – sind nicht gewillt, auf die Expertise zu hören. Letzter Beweis ist der gestrige Beschluss des österreichischen Nationalrats für die Teilnahme am Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM.

Hier der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) publizierte Brief im vollen Wortlaut:

Liebe Mitbürger,
die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.

Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen. Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder Pressionen ausgesetzt sein, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland – und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen.

Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschußt und volkswirtschaftlich zentrale Investitonsentscheidungen verzerrt werden.

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