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ESM

9. Juli 2012 / 07:45 Uhr

ESM vor Verfassungsgericht: “Jetzt haben wir die Leiche!”

In Österreich ist die Aufregung über den ESM groß, jedoch steht dessen Umsetzung nichts mehr im Weg. Die ESM-Gesetze werden mit der Beurkundung durch Heinz Fischer in Kraft treten und können erst danach vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Anders in Deutschland: Dort entscheidet das Verfassungsgericht vor Inkrafttreten eines Gesetzes über dessen Verfassungskonformität und hat daher auch den Bundespräsidenten ersucht, mit seiner Unterschrift so lange zuzuwarten. Joachim Gauck entspricht dieser Bitte. Im Gegensatz zu Österreich protestieren in Deutschland auch zahlreiche renommierte Ökonomen gegen den ESM. Mehrere Klagen gingen bereits beim Bundesverfassungsgericht ein. Einer der Kläger ist der Wirtschaftsexperte Wilhelm Hankel. Im Unzensuriert-Interview erklärt er, warum ein "Nein" des Bundesverfassungsgericht wahrscheinlicher denn je ist.

Der ESM ist sowohl in Österreich als auch in Deutschland problemlos durchs Parlament gegangen. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass Verfassungsgerichte das Projekt stoppen?
Hankel: In Deutschland schätze ich sie seit einigen Tagen höher ein als je zuvor. Erstens wird das Bundesverfassungsgericht unsere neue Klage annehmen. Zweitens hat sich das Gericht, was es noch nie zuvor getan hat, in der Öffentlichkeit Beratungsfrist ausbedungen und das sogar dem Bundespräsidenten mitgeteilt, als ob es verhindern wollte, dass er zu schnell unterschreibt. Wir werden in Deutschland also zumindest eine starke Verzögerung des Fahrplans erleben.

Trauen Sie es dem Verfassungsgericht zu, tatsächlich "Nein" zu sagen?
Hankel: An sich sollte ein Verfassungsgericht niemals Nein sagen, sondern Bedingungen stellen. Die Richter haben einmal den Fehler gemacht und zwar bei der ersten Euro-Einführungsklage im Jahr 1998, die sie zurückgewiesen haben. Aber da hatten sie eine Begründung, die mich als Ökonomen mehr überzeugt hat als unseren juristischen Verfahrensbevollmächtigten Professor Schachtschneider. Sie haben gesagt, im Wesentlichen stützen wir die Klage auf Prognosen: Dass der Euro nicht so stabil wie die D-Mark sein kann, dass die Bundesbankpolitik nicht auf Europa übertragen werden kann,… Ich habe damals zu Herrn Schachtschneider gesagt und das sage ich heute noch: Ich als Laie sehe ein, dass ein Gericht einen Mörder nicht verurteilen kann, bevor er den Mord begangen hat.

Mittlerweile ist die Leiche ja da.
Hankel: Ja, jetzt haben wir die Leiche und seitdem ist das Gericht auch sehr viel restriktiver in der Sache geworden. Die zweite Klage haben die Richter ja in Teilen positiv beschieden. Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle hat ziemlich wörtlich gesagt: „Wir mischen uns nicht in die Politik ein, das ist nicht unsere Aufgabe, Politik wird im Bundestag und im Parlament gemacht, aber die Regeln, unter denen sie das diskutieren und entscheiden, müssen der Verfassung gemäß sein." Und dann hat er zwei Regeln aufgestellt: Erstens das Prinzip der Einzelbewilligung. Jede Tranche – auch jede ESM-Tranche – muss nach dem bestehenden deutschen Recht einzeln genehmigt werden. Frau Merkel muss also immer zittern, ob sie die nötige Mehrheit bekommt. Zweitens, dass es bei der Übertragung von Staatseinahmen auf ausländische Staaten keinerlei Automatik gibt. Das heißt im Klartext: keine Eurobonds.

Aber genau diese Einzelbewilligung widerspricht ja dem, was der ESM will.
Hankel: Die jetzige Klage läuft im ökonomischen Kern darauf hinausläuft, dass der ESM eine Nachschussverpflichtung beinhaltet, die immer neue Zahlungen nach sich zieht. Deswegen bin ich mir sicher, dass das BVG im Minimum sagen wird, dass jede Zahlung einzeln genehmigt werden muss.

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