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22. Mai 2010 / 12:14 Uhr

Die Ukraine – zerrissenes Land zwischen Ost und West

Politische Wirren, Revolution und der Gasstreit mit Russland bringen die Ukraine immer wieder in die Schlagzeilen. Um Europas zweitgrößten Staat dreht sich – nach Russland und Kasachstan – der dritte Teil unserer Serie über Länder 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus.

Dabei ist weitgehend unbekannt, dass ein Teil des zweitgrößten Staates Europas früher zu Österreich-Ungarn gehörte und Ukrainer als “Ruthenen” etwa acht Prozent der Einwohner der Donaumonarchie stellten. Im Gegensatz zu Russland konnten die Ukrainer ihre Kultur im zur Habsburgermonarchie gehörigen Galizien frei ausleben, noch heute ist Lemberg (Bild), die Hauptstadt Galiziens, eine Hochburg der ukrainischen Nationalbewegung. Und bis heute dauert die Spaltung der Ukraine in einen nach Mitteleuropa orientierten Teil im Westen und einen nach Russland orientierten Teil im Osten des Landes an.

Die Geburt einer Nation auf dem “Weiten Feld”

Nachdem das erste ostslawische Staatswesen, die Kiewer Rus, im 13. Jahrhundert unter dem Mongolensturm zusammengebrochen war, wechselten sich die Herrscher des riesigen Gebietes ab. Litauer, Polen, Russen, Krimtartaren und Osmanen rangen um die Herrschaft über das riesige Gebiet im Süden Osteuropas; durch Kriege und Raubzüge war das Land, das auch als weites Feld bezeichnet wurde, verheert und nur wenige größere Ansiedlungen konnten dauerhaft bestehen. In dieser anarchischen Situation bildeten sich ab dem 15. Jahrhundert die Kosaken als wehrhafte Bauern – eine der ersten Keimzellen einer sich entwickelnden ukrainischen Nation. Nikolai Gogol (Bild) setzte den Kosaken mit seiner Novelle “Taras Bulba” ein literarisches Denkmal. Die Entwicklung zu einer eigenständigen Nation war ein fließender Vorgang der bis ins 19. Jahrhundert andauerte. Noch nach dem ersten Weltkrieg wurde die Existenz einer eigenständigen Nation vor allem von polnischen und russischen Nationalisten, die Anspruch auf das Territorium erhoben, bestritten. Im zaristischen Reich war die Bezeichnung “Kleinrussen” üblich.

Von Lemberg nach Kiew

In habsburgischen Westgalizien wurde im 19. Jahrhundert erstmals eine standardisierte ukrainische Schriftsprache geschaffen; auch das Konzept einer eigenständischen ukrainischen Nation entstand. Nach dem Ersten Weltkrieg entstand der erste ukrainische Staat, der aber nach sehr kurzer Eigenständigkeit größtenteils von der Sowjetunion annektiert wurde. Die Zeit unter kommunistischer Herrschaft war geprägt von brutaler Repression, der Millionen Ukrainer zum Opfer fielen. Umso bemerkenswerter ist der ukrainische Widerstand, der erst in den 1950er Jahren endgültig gebrochen wurde. 1991 erlangte die Ukraine ihre Unabhängigkeit mit Kiew als Hauptstadt wieder.

Unruhige Unabhängigkeit

Seit der Unabhängigkeit kommt die Ukraine nicht mehr zur Ruhe. Die Entsowjetisierung der staatlichen Verwaltung erwies sich als schwierig ebenso wie die Umstellung der Ökonomie von Plan- auf Marktwirtschaft. Gleich wie in Russland wurde die überstürzte Privatisierung, die teilweise auch auf Druck von außen erfolgte, zum Desaster; eine Wirtschaftskrise und großer Rückgang des Bruttoinlandsproduktes waren die Folgen. Dazu kamen sich rasch ändernde politische Verhältnisse. Der postkommunistische Präsident Krawtschuk wurde von Leonid Kutschma abgelöst, der sich anfangs an die EU und die NATO annäherte, dessen Regierung aber immer mehr autoritäre Züge annahm. Dennoch stabilisierte sich die Wirtschaft und der Aufschwung des Landes war unübersehbar.

Die “Orange Revolution” und ihre Ergebnisse

Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 offenbarte sich das Dilemma des Landes. Zwei Blöcke standen einander gegenüber: der “östliche” Block, repräsentiert durch Viktor Janukowitsch, der eine engere Zusammenarbeit mit Russland präferierte und seine Machtbasis im Osten und Süden und Landes hat einerseits; andererseits der “westliche” Block, vertreten durch Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, die eine Annäherung an NATO und EU vorzogen und im westlichen Landesteil verankert sind. Auch ausländische Mächte, allen voran die USA und Russland, nahmen großen Einfluss auf die Ereignisse und förderten ihre Günstlinge mit großzügigen finanziellen Zuwendungen. Juschtschenko und Timoschenko gingen vorerst als Sieger aus diesem Machtkampf hervor, doch schon bald zerfiel ihr Bündnis. Die politischen Ränkespiele sind inzwischen kaum mehr durchschaubar ,und die Innenpolitik ist von ständig wechselnden Bündnissen geprägt. Der ursprünglich unterlegene Janukowitsch errang im Februar 2010 doch noch das Präsidentenamt, sein Parteikollege Mykola Asarow ist Ministerpräsident. Die wahren Herrscher des Landes scheinen allerdings eine Gruppe einflussreicher Wirtschaftsmagnaten und Oligarchen zu sein. Zusätzlich zu den unklaren politischen Verhältnissen hat die Wirtschaftskrise, die das Land besonders stark getroffen hat, die Stabilität der Ukraine weiter untergraben.

Schwieriges Verhältnis zu Russland

Das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland ist immer wieder großen Belastungen ausgesetzt. Die Ukraine besitzt große strategische Bedeutung für Russland, das versucht seinen Einfluss im Land stetig auszudehnen. Reibungspunkte sind dabei die große russische Minderheit (ca 17 % der Einwohner) sowie die russische Schwarzmeerflotte Bild), deren Heimathafen immer noch Sewastopol auf der Krim ist. Immer wieder blockierte Russland die Gaslieferungen in und durch die Ukraine – eine zusätzliche Belastung für das in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängige Land. Auch auf anderen Ebenen treten die Konflikte offen zu Tage: So bezeichnete der Moskauer Patriarch die ukrainisch-orthodoxe Kirche als Abtrünnige, und es werden immer wieder russische Stimmen laut, welche die ukrainische Unabhängigkeit nicht akzeptieren wollen. Auch wenn die russische Führung nicht so weit geht, so macht der Kreml doch regelmäßig deutlich, dass eine Vollmitgliedschaft der Ukraine in der NATO für Russland nicht akzeptabel ist.

Doch auch die USA nehmen Einfluss auf die Ukraine, wenngleich sie diskreter agieren. Insbesondere der Internationale Währungsfonds, der die von der Ukraine dringend benötigten Kredite bereitstellt, erweist sich als probates Mittel der Einflussnahme durch die USA.

Zwischen Ost und West

Wie schon seit Jahrhunderten ist die Ukraine zerrissen zwischen Ost und West. Fast scheint es, als ginge eine unsichtbare Trennlinie durch das Land; bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen trat dies wieder deutlich hervor. Neben dieser inneren Teilung ringen auch ausländische Mächte aus Ost und West um die Ukraine, die dabei immer öfter zwischen allen Stühlen sitzt. Wankelmütige Politiker und wirtschaftliche Probleme verschärfen die Situation zusätzlich. Bei allen Schwierigkeiten sollte man aber nicht übersehen, dass die letzten 19 Jahre die bisher längste Periode ukrainischer Unabhängigkeit sind. Angesichts aller Unbillen, denen die ukrainische Nation in der Geschichte ausgesetzt war, ist dies immerhin ein Lichtblick.

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