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24. Juli 2012 / 10:40 Uhr

Saudi-Arabien: “Kampf gegen Terror” gilt internen Gegnern

Wenn Saudi-Arabien sich am weltweiten Kampf gegen den Terror beteiligen will, kann das als Richtungswechsel verstanden werden. Immerhin gelten die Saudis als Förderer zahlloser islamistischer Terrorgruppen in aller Welt. Das Bekenntnis entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Ablenkungsmanöver und gilt vor allem den Feinden des angeschlagenen Königshauses im eigenen Land, das durch das verstärkte Scheitern von Zensurbemühungen immer mehr in Bedrängnis gerät. Der dritte Teil einer Analyse des in Washington ansässigen „Zentrum für Demokratie und Menschenrechte in Saudi-Arabien“.

Der König ruft zu weltweitem Kampf gegen Terrorismus auf

Angesichts wachsender Infragestellung seiner eigenen Legitimität (die ja lediglich auf der Unterstützung durch die Hardcore-Elemente des fundamentalistisch-islamistischen Establishments beruht) sowie steigender Forderungen nach einer realen Teilung der Macht von Seiten einer immer größeren Menge ungeduldiger Frauen und Männer sieht sich das saudi-arabische Regime veranlasst, seine Macht mit allen möglichen Tricks und Finten zu verteidigen.

In einer Rede, welche in seinem Namen von seinem Neffen Außenminister Saud al-Faisal verlesen wurde, soll König Abdullah von Saudi-Arabien gesagt haben: "Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine gemeinsame internationale Verantwortung, welche ein Höchstmaß an Koordination und Kooperation erfordert." Oberflächlich betrachtet, erscheint der Aufruf von König Abdullah zur Bekämpfung des Terrorismus sehr zeitgemäß zu sein, da der Terrorismus eine tödliche Bedrohung für die internationale Gemeinschaft darstellt, vor allem jedoch für die demokratischen Gesellschaften, deren fundamentale Werte wiederum als eine tödliche Bedrohung für die Saudis und ihr autokratisches System gelten. Durch die Verwendung des Schlagworts "Kampf gegen den Terrorismus" betreibt das Saudi-Regime bewusste Irreführung, um die internationale Gemeinschaft zu veranlassen, ihren Kampf auch in seinem Namen und zu seinem Nutzen zu führen.

Kampf vor allem gegen interne Gegner

Im Juli 2011 wurde Amnesty International der Entwurf eines Gesetzes zugespielt, wonach angeblich in Saudi Arabien der Kampf gegen den Terrorismus geführt werden soll, während die tatsächliche Absicht darin besteht, jene Bürger Saudi-Arabiens zu polarisieren, die sich für friedliche politische Reformen einsetzen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Bestrafung von Verbrechen des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung sieht vor, dass die Polizeibehörden in Saudi-Arabien Verdächtige ohne Anklageerhebung und ohne Gerichtsverfahren de facto "zeitlich unbeschränkt" festhalten können. Dasselbe Gesetz würde den Behörden auch die Handhabe geben, jeden, "der die Rolle des Königs oder des Kronprinzen infrage stellt", für zehn Jahre oder länger einzusperren. Das saudi-arabische Regime bezeichnet nämlich jeden als Terroristen, der als eine Bedrohung seines autoritären Systems angesehen wird, wozu auch friedliche Demonstranten gehören, die sich für die Demokratie einsetzen. Im krassen Gegensatz dazu definiert die internationale Gemeinschaft den Terrorismus als ideologische Gewalttaten von Einzelpersonen und/oder Gruppen, deren Ziel es ist, ihr Wertesystem anderen aufzuzwingen.

Obwohl das saudi-arabische Regime zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus aufruft, will es in Wirklichkeit die Weltgemeinschaft dafür instrumentalisieren, dass sie dem Regime an zwei Fronten den Rücken stärkt. Einerseits wollen sich die saudischen Herrscher vor ihren eigenen religiösen Fanatikern schützen, die sie zum Teil selber zuvor dazu eingesetzt hatten, andere zu terrorisieren, zum Beispiel im Irak. Andererseits suchen Sie Schutz vor der eigenen Bevölkerung, nämlich Männern und Frauen, die demokratische Reformen befürworten. Es muss also die Frage gestellt werden, warum die internationale Gemeinschaft die Behauptung des saudi-arabischen Regimes akzeptiert, dass es sich bei beiden genannten Gruppen um "terroristische Gruppen" handle, wo sich beide doch in der Wahl ihrer Mittel – gewaltsamer Kampf gegen das Regime bzw. friedliche Reform des Systems – grundlegend unterscheiden?

Es ist eine Ironie, dass das saudische Regime zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus aufruft, während Saudi-Arabien zugleich als der weltweit größte Exporteur und Finanzier von islamistisch-extremistischen und terroristischen Gruppen gilt. Bekanntlich waren fünfzehn der neunzehn Terroristen vom 11. September saudi-arabischer Herkunft. Angesichts dieser Tatsache und unter der Annahme, dass König Abdullahs Appell wirklich ernst zu nehmen ist, wäre Saudi-Arabien der Ort, auf dem sich der Kampf gegen den Terrorismus konzentrieren sollte.

Initiative zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung

Dr. Fahd Al-Mubarak, der Gouverneur der saudi-arabischen Währungsagentur SAMA und Vorsitzende des Ständigen Ausschusses für die Bekämpfung der Geldwäscherei, hat vor kurzem in einer Rede erklärt: "Das Königreich Saudi-Arabien hat alles getan, um die internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorfinanzierung zu unterstützen." Da es in Saudi Arabien keine Buchhaltungspflicht, keine Transparenz der Rechnungsführung und keine Bilanzierungsvorschriften gibt, weiß jedoch niemand, wie weit diese Bemühungen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung tatsächlich gehen. In Saudi-Arabien gibt es im übrigen ein Transfersystem namens Hawallah, das jedermann Banküberweisungen ermöglicht, ohne dass es darüber Papieraufzeichnungen gibt und auch nur bekannt wäre, wer der Endempfänger ist. Es gibt etwa 10 Millionen ausländische Gastarbeiter in Saudi-Arabien. Die Mehrheit von ihnen sind Moslems aus Ländern, in denen es ausgeprägt radikal-religiösen Strukturen und terroristischen Basen gibt, wie Pakistan, Indonesien, Philippinen, Somalia, Jemen und Nigeria.

Ebenso wichtig ist es, dass die eigentlichen Ursachen des Terrorismus in Saudi Arabien unverändert bestehen bleiben. An den Schulen und Moscheen Saudi-Arabiens kommt es nach wie vor zur Verbreitung von extremistischen Werte und zur Aufhetzung gegen Angehörige anderer Religionen. Es ist kein Geheimnis, dass die Regierung und das religiöse Establishment Saudi-Arabiens den Wahhabismus, d.h. ihre eigene streng-fundamentalistische Form des Islams weltweit verbreiten und finanzieren. Darüber betrachtet der saudische König den Wahhabismus als die einzige Religion, welche die Menschheit retten kann, und verbreitet diese Ansicht auch aktiv. Es gibt junge radikale Saudis, die gefährlich indoktriniert und zu allem entschlossen sind. Sie leiden auch nicht unter Geldmangel, sondern finden jederzeit Verbündete, die bereit sind, die notwendigen Mittel aufzubringen, damit sie terroristische Pläne in die Tat umsetzen können.

Die Saudis könnten jedenfalls viel mehr unternehmen, um die Ursachen des Terrorismus auszurotten. Sie könnten anstelle der nur auf religiösen Lehren basierenden Lehrbüchern in ihren Schulen wissenschaftlich-fundierte Bücher einführen und religiös-indoktrinierte Lehrer durch weltliche Lehrkräfte ersetzen, welche den Schülern Werte die grundlegende Menschenrechte vermitteln können. Und schließlich könnten die Saudis einen hochkarätigen moslemischen Rat von Gelehrten diverser Lehrmeinungen einsetzen, der die religiös orientierten Lehrbücher überarbeitet und sich dabei an objektiver Exegese anstelle wortgetreuer Auslegung orientieren. Dies würde nicht nur dazu beitragen, die Ursachen des religiösen Extremismus zu beseitigen, sondern es auch ermöglichen, dass alle moslemischen Glaubensanhänger, insbesondere Frauen und religiösen Minderheiten, von der Gleichberechtigung profitieren.

Lesen Sie morgen: Die saudischen Frauen legen ihre Angst ab

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