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Juristisch ungeklärt: Ein Vater bezieht von Österreich und Polen eine Rente, weshalb das Finanzamt meint, dass ihm die Familienbeihilfe für sein in Polen wohnhaftes Kind nicht zusteht.

26. Mai 2022 / 08:12 Uhr

Sogar Rentenstreit bei „Kindergeld ins Ausland“

Unzensuriert berichtet immer wieder über die Problematik aufgrund von EU-Gesetzen, laut denen ein Staat Familienleistungen für Kinder bezahlen muss, die in einem anderen Staat wohnhaft sind. Der Wortlaut diverser Gesetzestexte ist nicht eindeutig, weshalb sie vollkommen unterschiedlich ausgelegt werden können. Ein Fall betrifft einen Vater, der von zwei Staaten eine Rente bezieht. Und es gibt diesbezüglich auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Widersprüchlicher Wortlaut
Dieser beschäftigt sich aktuell mit einem Fall, bei dem der Wortlaut des EU-Verordnung 883/2004 zu unterschiedlichen Auslegungen führt. Die Regelung sieht vor, dass, wenn eine Person in einem Staat erwerbstätig ist, ein Anspruch auf Familienleistungen dieses Staats besteht, auch dann, wenn das Kind in einem anderen Staat wohnt. Der Staat, in dem gearbeitet wird (Beschäftigungsstaat), muss seine Familienleistungen vorrangig bezahlen, der „Wohnstaat“ bezahlt höchstens eine Differenzzahlung, wenn seine Leistung höher ist als die des Beschäftigungsstaats. Arbeitet allerdings der andere Elternteil im Wohnstaat, so ist dieser vorrangig zuständig, weil dort das Kind wohnt.
Das gleiche gilt auch bei Rentenansprüchen. Bezieht ein Elternteil von seinem ehemaligen Beschäftigungsstaat eine Rente, steht ihm deswegen eine Familienleistung zu. Bezieht der andere Elternteil vom Wohnstaat eine Rente, ist dieser vorrangig für Familienleistungen zuständig, weil dort das Kind wohnt.
Was allerdings von der EU nicht bedacht wurde, ist, dass der Wortlaut nicht nur auf zwei Eltern zutrifft, die jeweils eine Rente beziehen, sondern es kann durchaus auch nur eine einzige Person geben, die von zwei Staaten eine Rente bezieht.
Und hier meint das Finanzamt, dass Österreich nichts bezahlen muss.
Gebürtiger Pole bezieht von zwei Staaten Renten
Es geht um einen gebürtigen Polen, der mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt hat. Er ist geschieden und Vater einer Tochter, die in Polen studiert. Die Mutter lebt ebenfalls in Polen, während der Vater in Österreich wohnhaft ist und bis zu seiner Pension auch beschäftigt war. Das österreichische Finanzamt will die Familienbeihilfe zurückverlangen, die der Vater erhalten habe und die ihm laut Ansicht des Finanzamts nicht zustünde, seit er von Österreich als auch Polen eine Rente bezieht. Die österreichische Pension beträgt 784,10 Euro, während er von Polen umgerechnet 74,99 Euro bekommt. Und noch ein Detail am Rande. Einen Anspruch auf die polnische Familienbeihilfe gab es nicht, da diese einkommensabhängig ist und das Einkommen für den Bezug zu hoch war.
Das Finanzamt meint, dass Österreich überhaupt nicht zuständig sei, und selbst das Bundesfinanzgericht vertritt aufgrund anderer gerichtlicher Entscheidungen diese Ansicht. Konkret geht es um den Wortlaut des Artikel 68 der EU-VO 883/2004:

  1. a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
  2. b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:
  3. ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass der EuGH dieser Ansicht nicht folgen kann. Denn in diesem Fall wird Artikel 11 der EU-VO 883/2004 schlagend, der eben bestimmt, welchen Rechtsvorschriften jenes Staats eine Person unterliegt. Die wesentlichsten Passagen:

(1)  Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2)  Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

  1. a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

  2. e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

Fazit:
Nachdem der Vater in Österreich wohnt, unterliegt er auch den österreichischen Rechtsvorschriften, weshalb der Erhalt der Familienbeihilfe auch als gerechtfertigt erscheint.
Allerdings ist damit trotzdem nichts gewonnen. Denn was passiert, wenn der Vater nach Deutschland zieht? Er würde von Österreich und Polen eine Rente beziehen, aber es müsste geklärt werden, welcher Staat nun vorrangig zuständig ist. Für diesen Fall sieht die Verordnung keine Lösung vor. Da hat die EU wieder einmal einen Unsinn beschlossen! Höchst an der Zeit, dass Familienleistungen aus der Verordnung genommen werden. Dann würde der Vater nämlich keinen einzigen Cent von Österreich erhalten, während er von Polen ebenfalls nichts bekommen würde (weil das Einkommen der Eltern zu hoch ist), was die beste Lösung wäre.

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