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6. März 2011 / 10:21 Uhr

Pakistan – Atommacht vor dem Kollaps

PakistanFlutkatastrophe, Anschläge, Regierungswechsel, politische Morde und Kämpfe zwischen der Armee und islamistischen Rebellen – Pakistan kommt regelmäßig in die Schlagzeilen, positive Nachrichten sind kaum dabei. Ein weiterer Zerfall des Landes und der Zentralmacht könnte dabei verheerende Folgen haben, denn seit 1998 ist Pakistan eine Atommacht.

Die gewaltsame Geburt eines Kunststaates

Bereits der Name “Pakistan” deutet auf die Entstehungsgeschichte dieses Staates als muslimischer Gegenentwurf zu einem hinduistisch dominierten Indien hin: P für Punjab, A für Afghan Provinces (sogenannte Nordwestgrenze), K für Kashmir, S für Sindh und stan für Belutschistan definiert den Staat als Zusammenschluss der mehrheitlich muslimisch bewohnten Gebiete Britisch Indiens mit Ausnahme Ostbengalens, des heutigen Bangladesh. Außer der Religion gab es von Anfang an wenige Gemeinsamkeiten dieser Gebiete, die von verschiedensten Völkern bewohnt werden. Vertreter der Muslim-Liga, der größten muslimischen Bewegung in Britisch Indien, entwickelten in den 1930er Jahren die “Zwei-Nationen-Theorie” (In Indien gäbe es eine hinduistische und eine muslimische Nation), um so gegenüber den Briten ihre Forderung nach einem eigenen muslimischen Staat im Nordwesten der Kolonie vertreten zu können; von Mahatma Gandhi wurde dieser Plan als “Vivisektion” Indiens scharf abgelehnt.

Gandhi

Gandhi

Gandhi (hier mit dem späteren indischen Premierminíster Nehru)
lehnte den Plan einer Teilung Indiens strikt ab.
Foto: Wikimedia

Der Übergang in die Unabhängigkeit verlief auf dem indischen Subkontinent in den Jahren 1947 und 1948 höchst chaotisch und legte die Saat für unzählige weitere Konflikte. Die Briten setzten bis zuletzt auf ihre Strategie des “Teilen und Herrschens” und unterstützen die Forderung der Muslimliga nach einem eigenen Staat. Da die Siedlungsgebiete von Hindus, Sikhs und Muslimen nicht getrennt waren, wurde die Grenze eher willkürlich gezogen. Auf beiden Seiten kam es zu unvorstellbaren Grausamkeiten, als Hindus und Sikhs aus Pakistan und Muslime aus Indien vertrieben wurden. Eine halbe Million Tote war zu beklagen, zwölf Millionen Menschen hatten ihre Heimat verloren.

Zum größten Zankapfel wurde das Fürstentum Kashmir, in dem ein hinduistischer Herrscher einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit gegenüberstand. Als muslimische Milizen in Kashmir einfielen, entschied er sich für Indien, was den ersten pakistanisch-indischen Krieg zur Folge hatte. Kashmir ist bis heute zwischen Indien und Pakistan geteilt, wobei der größere Teil zu Indien gehört.

Armee und Beamte – Träger der pakistanischen Idee

Der erste Präsident Pakistans, Muhammad Ali Jinnah starb bereits 1948 und hinterließ ein zerrissenes Land.

Jinnah

Jinnah

Jinnah, erster Präsident Pakistans, starb bereits ein
Jahr nach Staatsgründung
Foto: Wikimedia

Einerseits existierten große Unterschiede zwischen West- und Ostpakistan (Ostbengalen, heute Bangladesh), andererseits war der Gedanke einer pakistanischen Nationen in der Bevölkerung nicht verankert. Die Hauptträger dieser Idee sind bis heute die Armee und der Beamtenapparat geblieben, die restlichen Pakistani fühlen sich weiterhin ihrer angestammten Volksgruppe zugehörig. Unter diesen Voraussetzungen verwundert die dominierende Stellung der Armee im politischen Leben Pakistans wenig; seit 1947 wurde das Land von drei langen Perioden der Militärdiktatur geprägt, im Gegensatz zu Indien konnte sich nie eine stabile Demokratie entwickeln.

Pakistans Weg zur “Bombe”

So dominant das Militär auch im Inneren war, in den Konflikten mit Erzfeind Indien konnte es keine Erfolge erzielen. Nach dem Waffenstillstand von 1949 scheiterte ein weiterer Versuch, Kashmir zu erobern, 1965/66 unter großen Verlusten für beide Seiten. 1971 spaltete sich Ostpakistan unter tatkräftiger Mithilfe Indiens ab, diesmal gingen eindeutig die Inder siegreich aus den Konflikt hervor, die pakistanische Militärregierung stürzte. Der neue, zivile Ministerpräsident Zulfikar Ali Buttho begann, sich daraufhin für den Erwerb von Atomwaffen einzusetzen, um der immer größerer werdenden indischen Überlegenheit bei konventionellen Streitkräften entgegenwirken zu können. Das Projekt wurde auch unter Butthos Nachfolgern weiterverfolgt, spätestens seit Ende der 1990er verfügt Pakistan als erster islamischer Staat über die “Bombe“; auch Indien ist im Besitz von Nuklearwaffen.

Pakistan als islamischer Staat

Bei seiner Gründung war Pakistan zwar ein Staat der Muslime, aber kein islamischer Staat. Sein Gründer Ali Jinnah, der zuvor wie Gandhi britischer Rechtsanwalt gewesen war, verfocht die Idee eines von der eigentlichen Religion losgelösten muslimischen Nationalismus, seine Staatsidee war entscheidend vom britischen Rechts- und Verfassungssystem geprägt. Sein früher Tod verhinderte eine konsequente Umsetzung dieser Ideen, deren Erfolg angesichts der Inhomogenität der Bevölkerung von Anfang an fraglich war. Zum islamischen Staat umgebaut wurde Pakistan unter dem Militärdiktator Zia ul Haq, der von 1977 bis 1988 regierte.

Haq

Haq

Zia ul Haq machte Pakistan zum islamischen Staat
Foto: Wikimedia

Haq führte das islamische Strafrechtssystem ein – im Familien und Erbrecht war bereits davor islamisches Recht in Geltung – und besetzte wichtige Posten in Armee und Verwaltung mit streng religiösen Muslimen. Besonderes Augenmerk legte Haq auf den pakistanischen Geheimdienst Inter-Services Intelligence, der mehr und mehr zu einem Staat im Staat geworden ist – teilweise mit stark islamistischen Tendenzen.

Verhältnis zu den USA und Intervention in Afghanistan

Die USA hatten Wirtschafts- und Militärhilfe für Pakistan zunächst abgelehnt, um Indien nicht zu verärgern. Als sich Indiens Ministerpräsident Jawaharlal Nehru wegen des Konfliktes mit China Ende der 1950er Jahre außenpolitisch an Moskau annäherte, änderten die US-Amerikaner ihre Meinung und begannen, Pakistan massiv aufzurüsten. Besonders intensiv wurde dieses Bündnis mit dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1978/79. Mit saudi-arabischem Geld und US-Waffen unterstützte Pakistan die afghanische Widerstandsbewegung, eine Schlüsselrolle spielte hierbei der ISI. Auch nach dem Rückzug der UdSSR blieb der pakistanische Geheimdienst in Afghanistan präsent. Mit Billigung der USA organisierte der ISI die Taliban und rüstete sich auf.

Musharraf

Musharraf

Pakistan ist ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den Terror
Foto: U.S. Department of State, Wikimedia

Die Taliban sollten das zerrissene Afghanistan befrieden und so die Voraussetzungen für den Transport zentralasiatischer Rohstoffe unter Umgehung des Iran, Russlands und Chinas an den indischen Ozean schaffen, wovon sowohl Pakistan als auch die USA profitiert hätten. 2001 musste Pakistan auf US-Druck die Taliban fallen lassen, gerade in jüngster Zeit gibt es aber vermehrte Anzeichen für eine Unterstützung der Taliban durch die pakistanische Armee und vor allem den ISI.

Pakistan am Abgrund

Flut

Flut

Die Flut 2010 war für Pakistan verheerend
Foto: Monica K. Smith, U.S. Army / Wikimedia

Pakistan steht heute am Abgrund. Die Ausgaben für das Militär und das Atomprogramm verschlingen einen großen Teil des Staatshaushaltes, während die wirtschaftliche Entwicklung bergab geht. Teile des Staates sind nicht mehr unter der Kontrolle der Zentralmacht; insbesondere die von Paschtunen bewohnte Nordwestgrenze zu Afghanistan wird von den dortigen Stämmen beherrscht, die eng mit ihren Verwandten jenseits der Grenze kooperieren. Die politische Landschaft ist regional stark aufgesplittert, die einzelnen Parteien sind vor allem ethnisch organisiert und die verschiedenen Völker streiten um Einfluss, knapp 50 ethnische Gruppen gibt es in Pakistan. Dazu steht Pakistan durch die hohe Geburtenrate vor großen demographischen Herausforderungen, insbesondere in den Ballungsräumen steigt die Bevölkerung – auch durch die starke Landflucht – rapide an. Die Analphabetenrate liegt bei 50 Prozent und zählt damit zu einer der höchsten in Asien, die am weitesten verbreiteten Bildungseinrichtungen sind Koranschulen. Pakistan zählt zu den korruptesten Staaten der Erde, zugleich liegt das Gesundheitswesen jedoch brach; neben Seuchen wie TBC und Malaria bedroht vor allem Hunger die Gesundheit der Pakistani, von denen jeder vierte unterernährt ist.

Obwohl es 1999 zu Annäherungen an Indien in der Kashmirfrage kam, bleibt auch diese Konflikt ungelöst.
Die Flutkatastrophe von 2010 und die anhaltenden politische Instabilität seit dem Rücktritt von Diktator Pervez Musharraf hat Pakistan inzwischen an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Laut eigenen Angaben sind die Atomwaffen des Landes die am besten gesicherten der Welt. Es bleibt zu hoffen, dass das pakistanische Militär und die Regierung in dieser Frage nicht zu viel versprochen haben.

Buchtipp: Tariq Ali, Pakistan: Ein Staat zwischen Diktatur und Korruption.

 Unzensuriert-Serie über "Failed States"

Unzensuriert.at stellt wöchentlich einen gescheiterten Staat vor. Bisher veröffentlicht:

Somalia – Nummer eins unter den gescheiterten Staaten
Guinea – Mit dem Sozialismus in die Armut
Sudan – Abspaltung vom islamistischen Araber-Regime
Liberia und Sierra Leone – Heimat der Blutdiamanten
Kongo – Das Herz der Finsternis
Simbabwe – Staatsbankrott droht binnen Jahresfrist

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